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Schattengott

Schattengott

Titel: Schattengott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uli Paulus
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sehnlichst, es gäbe
viel mehr davon», versicherte er treuherzig.
    Dölf Imobstgarten wurde zu einer bedingten Gefängnisstrafe von
anderthalb Jahren verurteilt. Für Luginbühl war das ein Schock. Aus seinem
Unverständnis über das Gerichtsurteil machte er kein Geheimnis. Auch im
Polizeiposten nicht, und dass er gerade dort keine Zustimmung fand, verbitterte
ihn umso mehr. Schüsse auf einen Polizisten abzugeben, das war doch ein
schweres Vergehen – wer so etwas tat, der gehörte eigentlich für sein halbes
Leben ins Zuchthaus!
    «Er hat doch nicht gewusst, dass du Polizist bist.»
    Diesen Satz, den so viele sagten, konnte Benjamin Luginbühl bald
nicht mehr hören. «Und das wäre für euch auch eine Entschuldigung gewesen, wenn
er mich totgeschossen hätte?», fragte er dann aufgebracht zurück. Nein,
natürlich nicht, antworteten die Kollegen. Aber er war ja nicht totgeschossen
worden. Es war doch gar nichts passiert. Na ja, fast gar nichts.
    Fast gar nichts! Und was war mit seiner Schussverletzung im
Oberschenkel?
    Wenn Luginbühl auf die politische Gesinnung Imobstgartens hinwies,
auf dessen Hasstiraden gegen Ausländer, vor allem gegen Moslems und Menschen
aus dem Balkan, dann stiess er damit auf Gleichgültigkeit.
    «Jedes Mal, wenn er auf einen Burschen aus dem Balkan getroffen ist,
hat er es auf eine Schlägerei angelegt!», ereiferte sich Luginbühl.
    «Schlägereien zwischen Burschen in diesem Alter sind doch normal»,
wiegelten die Kollegen ab.
    Sie wollten einfach nicht begreifen, dass Imobstgarten eine Gefahr
für die Gesellschaft war. Luginbühl war überzeugt davon, dass das milde Urteil
dazu führen würde, dass er sich im Recht sah, weiterzuhetzen und Unfrieden zu
stiften. «Eines Tages begeht er dann wirklich einen Mord! Ihr werdet schon
sehen!»
    Auch ausserhalb der Polizei schien es niemand sonderlich schlimm zu
finden, dass Benjamin Luginbühl im Dienst beinahe erschossen worden und der
Täter mit einer Bewährungsstrafe davongekommen war. Das galt zu seinem Verdruss
besonders für die lokalen Medien. Dort wurde zwar ausführlich über die
Gerichtsverhandlung berichtet, aber auch in diesen Artikeln klang es, als habe
der Angeklagte nichts als eine verzeihliche Dummheit begangen. Ein breiter
Protest aus der Bevölkerung gegen das milde Urteil blieb aus.
    Auf ein anderes Vergehen, das in die gleiche Zeit fiel, reagierten
die Leute zu Luginbühls Verbitterung weitaus heftiger: Eine Gruppe von
osteuropäischen Roma war verhaftet worden, als sie gerade im Begriff war, in
der Garderobe des Schulgebäudes von Bönigen, wo ein Altersnachmittag abgehalten
wurde, die Taschen und Mäntel der betagten Gäste zu durchsuchen. Die
nachfolgenden Ausgaben der Zeitungen brachten zahlreiche Leserbriefe, die
endlich eine Lösung des «Romaproblems» forderten.
    Luginbühl schrieb eine kritische Replik darauf, die nur aus den
wenigen Worten bestand: «‹Romaproblem›? Vor sechzig, siebzig Jahren jammerte
man über das ‹Judenproblem›!» Am nächsten Tag fackelte ihm jemand das
Schrebergartenhäuschen ab. Der Brandstifter konnte nie gefasst werden, aber
Luginbühl war sicher, dass auch diese Tat auf das Konto Imobstgartens ging.
    Dölf Imobstgarten, der nach dem Prozess als reuiger Sünder wieder in
den Schoss seiner Familie zurückgekehrt war, wurde zu Benjamin Luginbühls persönlicher
Obsession. Wenn eine Schlägerei oder irgendeine Aktion gegen Ausländer gemeldet
wurde, dann war ihm nur noch eines wichtig: War Imobstgarten darin verwickelt?
Das war aber nie der Fall; der junge Mann verhielt sich in den Wochen nach dem
Urteil mustergültig.
    Vergeblich suchte Luginbühl nach einer Gelegenheit, ihm etwas
nachzuweisen. Dabei ging sein Engagement weit über den normalen Diensteifer
hinaus. Er begann, ihm auch in seiner Freizeit nachzustellen, und trieb sich
viele Abende beim Haus der Imobstgartens herum. Verliess der junge Imobstgarten
dieses, folgte ihm Luginbühl diskret. Meist stellte er fest, dass Imobstgarten
mutterseelenallein eine oder zwei Stunden durch die Gassen Untersees und
Interlakens spazierte und wieder nach Hause zurückkehrte, ohne jemanden zu
treffen. Einige Male läutete er an einer Wohnungstüre in der Nachbarschaft. Ein
halbwüchsiger Junge, den Luginbühl schon als Knirps gekannt hatte, öffnete ihm.
Auf dem Briefkasten neben der Glocke stand der Name Blaser. Die Blasers gehörten
zu der Sorte unbescholtener Bürger, die der Polizei nie auffielen. Hoffentlich
verführt dieser

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