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Schattengott

Schattengott

Titel: Schattengott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uli Paulus
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herein. Sie hielt sich nicht lange mit Formalitäten auf
und kam gleich zur Sache.
    «Wann waren Sie am Busbahnhof, können Sie sich an die genaue Uhrzeit
erinnern?»
    Seilbach rührte mit dem Löffel in seiner Teetasse herum. «Das war
vielleicht um halb vier, aber ich weiss es nicht mehr genau.»
    «Ist Ihnen jemand aufgefallen, der sich in der Nähe der Busse
aufgehalten hat? Jemand, der etwas reingelegt haben könnte und dann wieder
verschwunden ist?»
    Seilbach schien ernsthaft nachzudenken.
    «Ich bin vom Aufzug zum Bahnhof gelaufen», sagte er schliesslich.
«Erst als Sie mich explizit danach gefragt haben, ob ich das Mädchen an dem Tag
noch mal gesehen habe, konnte ich mich erinnern, dass sie da auf der Bank sass.
Aber das ist jetzt schon zu lange her. Keine Ahnung, ob da sonst noch jemand
war.»
    Sabina sah, dass der Mann sich Mühe gab, in seiner Erinnerung zu
kramen. Aber alles, was die Wissenschaft über Zeugenaussagen in Kriminalfällen
herausgefunden hatte, bestätigte das, was Seilbach gerade gesagt hatte. Wenn
ein Geschehen mehr als ein, zwei Tage zurücklag, war es fast unmöglich, sich
korrekt an Nebensächlichkeiten zu erinnern. Menschen vermischten im Nachhinein
oft Suggestion und Wirklichkeit – mit manchmal fatalen Folgen für
Gerichtsprozesse.
    Sabina bedankte sich und hinterliess Seibach ihre Karte, falls er
sich doch noch an etwas erinnerte.
    Auf dem kleinen See oberhalb des Ferienhauses versanken die blauen
Zielringe der Eisstockbahnen im Matsch. Das Eis auf tausendsechshundert Metern
Höhe war durch die Sonne stark aufgeweicht. Sabina stellte ihren Wagen etwas
weiter oben ab und ging ein paar Schritte durch den Wald. In vier Tagen war
Ostern. Sie hatte sich bei Freunden in Stuttgart angekündigt und wollte noch
ein paar Sachen packen.
    Zu Hause in Donat schrieb sie eine E-Mail an die Adresse der
österreichischen Skiwanderer und bat um eine rasche Rückmeldung. Danach suchte
sie ihre Sachen für die Ostertage zusammen. So wie die Dinge lagen, konnte sie
am Karfreitag nach Stuttgart fahren. Eine junge Kollegin übernahm die
Vertretung und war instruiert, sie sofort anzurufen, falls sich etwas
ereignete.

4
    Der Gründonnerstag verlief relativ ruhig. Die Auswertung von
Katharina Jakobs Handy hatte ergeben, dass sie am Tag ihres Verschwindens keine
Telefonate geführt hatte. Auch die Überprüfung der Verbindungsdaten aus den
Vorwochen ergab keinen Anhaltspunkt: alles Nummern von Freunden oder
Verwandten. Gegen dreizehn Uhr antwortete per Mail einer der österreichischen
Skiwanderer aus dem Bus, Thomas Pletzer. Er sei gerne bereit, als Zeuge
auszusagen, wolle aber deswegen nicht extra nach Chur reisen. Sie verabredeten
sich für vierzehn Uhr am Telefon.
    Sabina befragte ihn eingehend nach seinen Beobachtungen am
Busbahnhof in Thusis und während der Busfahrt. Der Mann versuchte, sich die
Fahrt noch einmal vor Augen zu führen. Er konnte sich an Katharina Jakobs und
auch vage an Frau Zügli erinnern. Weitere Mitreisende hatte er nicht bemerkt.
Der Busfahrer «mit der dicken Brille und dem schütteren Haar» war ihm ebenfalls
in Erinnerung geblieben, auffällig verhalten habe der sich aber nicht.
Überhaupt wisse er nichts von besonderen Vorkommnissen zu berichten. Die
Menschen im Bus hätten sich alle freundlich in Ruhe gelassen. In Donat sei er
mit seinem Bruder ausgestiegen und habe die Ski ausgeladen. Auch dabei sei ihm
nichts Besonderes aufgefallen. Der Laderaum sei leer gewesen, ausser ihren
Rucksäcken seien keine Gepäckstücke darin gewesen. Sie könne aber gerne auch
noch mit seinem Bruder sprechen, der sei nur für einige Tage beruflich ausser
Landes.
    Sabina beendete die Befragung nach etwa zehn Minuten. Sie erwartete
keine dienlichen Hinweise mehr.
    Lustlos ging sie in Heinis Büro und informierte ihn über das
Gespräch mit Pletzer.
    «Sieht so aus, als würden wir in der Sache nicht weiterkommen»,
sagte Heini, «zumal von nirgendwo ein Hinweis auf ein Verbrechen zu uns kommt.»
    «Meinst du, es ist viel Lärm um nichts?»
    «Keine Ahnung. Aber dass ein Mädchen aus dem Schams ermordet wird
oder auf dem Heimweg im Rhein ertrinkt, ist eher unwahrscheinlich. Zumindest
ist es in den letzten fünfzig Jahren nicht passiert.»
    «Also können wir in Ruhe die Ostertage geniessen?»
    «Ich wüsste nicht, warum wir eine Sonderschicht fahren sollten. Wir
haben die Routinebefragungen durch, und es hat sich keine Spur ergeben. Oder
hast du eine?»
    Sabina fuhr sich verlegen über den Mund.

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