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Schattengott

Schattengott

Titel: Schattengott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uli Paulus
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Einen Moment überlegte sie,
ob sie Heini die Sache mit den Steinen anvertrauen sollte. Doch dann siegte
eine innere Stimme, die ihr riet, sich nie wieder so zu blamieren wie in Zürich.

5
    «Was sagt der Kollege Freisler?», fragte Claudio Malfazi, als er
am Ostermontag um sieben Uhr zweiunddreissig das Besprechungszimmer betrat, in
dem bereits Heini und eine junge Kollegin, die über Ostern Dienst gehabt hatte,
warteten.
    «Bei der neuen Vermissten handelt es sich um eine junge Frau aus
Andeer, Iris Grenz, vierundzwanzig», sagte die Mitarbeiterin vom Spezialdienst.
«Sie war gestern mit zwei Freundinnen im Mineralbad Andeer. Die drei haben sich
gegen zwanzig Uhr am Ausgang getrennt. Iris Grenz wollte noch alleine zur
Kirche gehen, zum Grab ihrer Grossmutter. Ab hier fehlt jede Spur von ihr. Sie
hat mit ihrem Freund eine Modeboutique in Thusis. Er konnte sich ihr
Verschwinden nicht erklären und hat gestern um dreiundzwanzig Uhr die Polizei verständigt.»
    Erst jetzt betrat Sabina, die aufgrund der neuen Vermisstenmeldung
ihren Osterurlaub abgebrochen hatte, den Besprechungsraum.
    «’tschuldigung», sagte sie und stellte ihren Kaffee auf den Tisch.
«Ich komm direkt aus Stuttgart.»
    Malfazi sah sie missbilligend an und fuhr mit seiner Befragung fort.
«Keine Auffälligkeiten in den letzten Tagen und Wochen, keine sonderbaren
Kontakte?»
    «Soweit mir das der Kollege aus Andeer mitgeteilt hat, nein», sagte
die junge Polizistin.
    «Dann haben wir also nichts! Ausser zwei Vermisstenfällen, für die
wir normalerweise gar nicht zuständig wären.»
    «Moment, Moment», hakte Sabina nach. «Wer genau ist vermisst?»
    «Eine Iris Grenz aus Andeer», wiederholte Malfazi. «Alle, die
rechtzeitig da waren, wissen das bereits.»
    Dass gerade er als notorischer Zuspätkommer sie zurechtwies,
missfiel Sabina gehörig. Sie ging in die Offensive.
    «Sind irgendwo im Umfeld der Vermissten Botschaften aufgetaucht?»
    «Was denn für Botschaften?», fragte Malfazi.
    «Zum Beispiel Steine mit Worten darauf.»
    Die junge Polizistin sah etwas überrumpelt aus. «Davon weiss ich
nichts, aber ich kann ja noch mal fragen.»
    «Nein, nein, schon gut», wiegelte Sabina ab. «Ich werde selber
hinfahren. Dann lern ich den Kollegen Freisler auch mal kennen. Ist ja
praktisch mein Hauspolizist im Schams.»
    «Okay, kümmer dich drum», befahl Malfazi mehr, als dass er sie darum
bat. «Und was hast du da gerade von Botschaften gefaselt?»
    «Ach nichts. Ich klär das erst.»
    «Vielleicht lässt du uns an deinen Ideen teilhaben?»
    «Ich will erst noch etwas prüfen. Bitte.»
    «Macht man das so in Zürich?», ätzte er. «So im Alleingang?»
    «Ich mache das so. In Graubünden», giftete sie zurück.
    Die Kollegen nahmen das Gezeter schweigend zur Kenntnis.
    «Der ist ja mal wieder drauf», sagte Heini, als Malfazi den Raum
verlassen hatte.
    «Ja, irgendwas bekommt ihm nicht», sagte Sabina. «Aber das ist nicht
mein Problem. Ich fahr nach Andeer. Kommst du mit?»
    «Nein», sagte Heini, «hab zu tun.»
    «Ich glaube, dass wir vor einem komplizierten Fall stehen», sagte
Sabina.
    «Wieso?»
    «Kann ich noch nicht sagen. Vielleicht weiss ich heute Nachmittag
mehr.»
    «Okay, aber mach keine Alleingänge, Sabina. Malfazi hat gerne die
Kontrolle. Und ich weiss ehrlich gesagt auch ganz gerne, was meine Kollegen so
denken und tun.»
    Sabina wusste, dass sie ihn und Malfazi über die Steine hätte
informieren müssen und dass ihr Vorgehen wie ein Alleingang aussah. Seit der
Sache in Zürich hatte sie ihre Sicherheit im Umgang mit Indizien verloren. Dazu
kam noch, dass Malfazi angesichts der Steine sicher in seiner üblichen Art
reagiert hätte: herablassend. Das Verschwinden einer Frau mit ein paar Steinen
in Verbindung zu bringen, die zufällig in einem Bus lagen, das überstieg seine
kriminalistische Phantasie. Schon an ihrem ersten Tag im Januar hatte er
klargemacht, dass er sich bei der Arbeit nur an Greifbares hielt. «Ich bin
Praktiker, kein Theoretiker», hatte er gesagt und Sabina damit einen vor den
Latz geknallt.
    Sie hatte etliche fachliche Fortbildungen hinter sich und –
trotz des Fauxpas in Zürich – sehr gute Arbeitszeugnisse. Malfazi war
sicher neidisch auf diese Meriten und ihr theoretisches Know-how. Den Neid aber
versteckte er, wie so viele, hinter einer harten Gangart und der Berufung auf
die allein zählende Praxis.
    Der Tag war traumhaft schön. Auf der Fahrt über die Autobahn
liess sich Sabina am Telefon Details

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