Schattengott
es nicht. Ausser den Steinen, die Sabina gefunden hatte,
gab es keine brauchbaren Ermittlungsansätze. Umso gespannter war sie auf das
Ergebnis der kriminaltechnischen Analyse.
«Da sind keine Fingerabdrücke drauf», sagte Beeli und gab ihr das
Säckchen zurück.
«Überhaupt keine?», fragte sie.
«Nicht ein Fingerchen.»
«Komisch, oder?»
«Ja, schon.»
«Dann hat jemand sie abgewischt», sagte Sabina.
«Oder die Steine mit Handschuhen angefasst.»
«Und was mach ich jetzt mit dieser Information?»
«Ich denke, du solltest mit den Kollegen drüber reden. Aber
entscheide selber.»
Sabina verstaute das Säckchen in ihrer Jackentasche und ging zum
Polizeiparkplatz. Sie wollte noch einmal mit Gustav Höhli reden.
Im Muttnertobel kam ihr diesmal niemand entgegen. Ohne einmal
zurücksetzen zu müssen, erreichte sie Obermutten und fuhr zügig weiter zur Alp.
Als Höhli den Polizeiwagen kommen sah, sackte er in sich
zusammen.
«Was ist?», fragte er mit schwacher Stimme, als Sabina vor der
Alphütte stand. Sie roch seine Alkoholfahne.
«Ich will noch einmal mit Ihnen über dieses Säckchen mit den Steinen
reden», sagte sie.
Er bat sie in die Hütte und goss ihr lauwarmen Kaffee aus einer
verbeulten silbergrauen Thermoskanne ein.
Sabina behielt das Säckchen zunächst in der Jackentasche. «Haben Sie
sich die Steine aus dem Bus eigentlich genauer angesehen?», fragte sie, nachdem
sich Höhli ebenfalls Kaffee eingeschenkt hatte.
«Nein, ich hab nur kurz reingeschaut», sagte er. «War ja nix
Besonderes drin.»
«Doch», widersprach Sabina und schüttete die Steine auf dem Tisch
vor ihm aus. «Bitte nicht anfassen», sagte sie, als er danach greifen wollte.
Er schaute sich die Worte interessiert an.
«Das hab ich nicht bemerkt», sagte er.
«Ich möchte Sie bitten, sich noch einmal in die Situation am Freitag
zu versetzen. Ist Ihnen irgendjemand aufgefallen, der das Säckchen in den Bus
gelegt haben könnte? Oder ein Kind, das die Steine vielleicht vergessen hat? Wo
genau lagen sie denn?»
Höhli kratzte sich am Ohr. «Die lagen», sagte er nach einer Weile,
«die lagen nicht da, wo Katharina sass. Die lagen weiter hinten, aber da sass
gar niemand. Ja, das ist komisch. Da sass eigentlich gar niemand. Aber ich war
ja kurz vor der Abfahrt auf dem Klo, vielleicht hat sie da jemand reingelegt
und ist dann weg. Ich dachte halt, das Säckchen hätte jemand vergessen.
Irgendjemand.»
«Sie hatten noch diese Skitourengeher erwähnt, die in Donat
ausgestiegen sind. Wann kamen denn die zum Bus?»
«Die sind mit Frau Zügli zusammen auf den letzten Drücker rein. Das
waren Österreicher, das hab ich gehört.»
«Und wo sassen die im Bus?»
«Direkt vorne bei mir, darum hab ich sie ja so gut reden hören.»
«Dann versuch ich die Herren mal ausfindig zu machen. Danke, Herr
Höhli. Und – bitte reden Sie mit niemandem über die Steine.»
«Ist recht, ja. Ja, ist recht.»
Sabina sammelte die Steine mit einem Taschentuch wieder ein. Den
halbwarmen Kaffee liess sie stehen.
Die beiden Skiwanderer waren in Donat ausgestiegen. Vielleicht
hatten sie dort auch übernachtet? Sabina setzte sich ins Auto und fuhr
vorsichtig bergab. Gut eine halbe Stunde später erreichte sie ihren Wohnort.
Sie fuhr direkt zum Gasthof Beverin. Der Besitzer war ein alter Bekannter ihrer
Mutter, er würde ihr jede Hilfe angedeihen lassen, da war sie sich sicher.
«Hoi, Carlo», grüsste sie, als er aus der Küche gestapft kam.
«Salü, Sabina», erwiderte er.
«Espresso?»
«Jo.»
«Setz dich schon mal raus, ich komm gleich.»
Er konnte sich an die beiden Skiwanderer erinnern. «Aus Österreich
waren in der Woche nur die beiden da, ich hol gleich mein Buch und schau nach.
Aber sag, wie geht’s dir?»
«Danke, Carlo, gut. Ich fühl mich wohl.»
«Ja, wir haben’s schon schön.»
«Es ist auch das Tempo», sagte sie, «hier ist man nicht so gehetzt.»
Carlo holte sein Reservierungsbuch und suchte den letzten Freitag.
«Da sind sie, zwei Brüder aus Feldkirch. Die waren eine ganze Woche da, von
Sonntag bis Sonntag. Thomas und Gerhard Pletzer. Hier ist die E-Mail-Adresse.»
Sabina schrieb sie sich ab und trank den letzten Schluck ihres
Kaffees.
«Ist ein guter Espresso, ich komm bald mal wieder auf einen.»
«Sicher», sagte er und wies ihren Zehn-Franken-Schein ab.
Sabina fuhr noch einmal nach Oberurmein, um mit Seilbach zu
sprechen, der Katharina Jakobs am Busbahnhof gesehen hatte. Er empfing sie
freundlich und bat sie
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