Schattengott
Katharina
Jakobs zuletzt gefahren ist.» Sabina nahm das Säckchen und liess den Inhalt auf
den Tisch kullern.
Heini beugte sich darüber und legte einen für seine Verhältnisse
uninspirierten Gesichtsausdruck auf.
«Hast du die Dinger untersuchen lassen?»
Sie hörte den Hauch eines Vorwurfs in seiner Stimme.
«Ja», sagte sie. «Es sind keine Fingerabdrücke drauf.»
Heini zog die Augenbrauen hoch. «Wenn die Steine zufällig im Bus
vergessen worden wären, müssten Spuren drauf sein, oder?»
«Ich denke schon», sagte Sabina, «deswegen hab ich das Ganze ja auch
ernst genommen.»
«Und warum hast du nichts gesagt?»
Hier war der Vorwurf. Sehr direkt und völlig ungeschminkt. Sabina
schluckte.
«Ich hatte Bedenken, dass Malfazi es nicht ernst nimmt», rückte sie
heraus. «Ich war mir einfach nicht sicher. Hab mal in Zürich auf fingierte
Indizien gesetzt und mich ziemlich blamiert.»
«Jetzt mal unter uns», Heini machte eine beschwichtigende Geste,
«seit wann hast du diese Steine?»
«Schon ein paar Tage. Ich hab sie im Müll gefunden.»
«Im Müll?»
«Ja, in San Bernardino. Der Busfahrer hat sie weggeschmissen, ohne
sie genauer anzuschauen.»
«Und du glaubst ihm?»
«Ja.»
«Okay», sagte Heini nach einer Pause, «ausnahmsweise würde ich
sagen: Schwamm drüber, dass du die Sache so lange für dich behalten hast. Aber
versprich mir, dass du in Zukunft keine Alleingänge mehr machst. Wenn Malfazi
das genauer mitbekommt, hast du eine Abmahnung sicher. Wer weiss denn davon,
dass du die Steine so lange hattest?»
«Beeli, du und Gustav Höhli.»
«Na ja, das wird wohl klargehen.» Heini nickte ihr wohlwollend zu.
«Wir können ja mal eine Liste mit Assoziationen aufschreiben, die uns zu den Begriffen
einfallen», schlug er vor.
«Hab ich schon gemacht.» Sabina zog ein Papier aus ihrer Jacke und
zeigte es ihm.
Bank:
Aussichtsbank, Bank an der
Strasse nach Reischen, Sicherheit, Arbeitsstelle der Vermissten, Datenbank,
Samenbank, Schulbank, Banknachbar, Banküberfall
Post:
Postbus, Post in Zillis, Postsendung an die Eltern
Rabe:
Vogel, Weisheit, Schwarz, Kleine Hexe/Abraxas
Stier:
Stierkampf, Sternzeichen, Hörner, Stärke, rotes Tuch
Himmelsleiter:
Grössenwahn, Bibel, Traum, Jakob, Piz
Beverin, Aufsteigen, Stairway to Heaven
Blut:
Gewalt, Tod, Verwandtschaft, Saft des Lebens, Jesus
Christus, Abendmahl
Russland:
Gas, Kälte, Putin, Lenin, Stalin, Dostojewski,
Tolstoi, Gorbatschow, KGB ,
Moskau, St. Petersburg, Atomwaffen, Öl
«Da
kannst du ja einen ganzen Roman draus machen», sagte Heini. Sabina wusste
zunächst nicht, ob er es anerkennend meinte. Zwei Sekunden später verriet er
es. «Aber sonderlich erhellend ist das nicht.»
In ihrem Bauch zuckte es. Der Zorn. Er war kaum zu bändigen, wenn
jemand ihre Eitelkeit verletzte. Das Bedürfnis nach einer Zigarette wurde in
solchen Momenten fast unerträglich. Sie atmete tief durch. Ihr Puls war oben.
«Wie wäre es denn erhellend?», fragte sie kühl und knapp.
«Hohoho, so war das nicht gemeint.» Heini schmunzelte und nahm der
Situation dadurch die Brisanz. «Ich meine ja nur: verschlüsselte Botschaften
bei einem Vermisstenfall in Graubünden?»
«Jetzt fängst du auch noch damit an», sagte sie und spürte erneut
ein Zucken im Bauch.
«Wieso auch noch?», fragte Heini.
«Ach, der Tubel aus Andeer hat sich schon darüber lustig gemacht.»
Sie parodierte Freislers behäbigen Tonfall: «So was hat es hier noch nie
gegeben.»
«Freisler?», lachte Heini. «Du hast es eben mit bodenständigen
Menschen zu tun bei der Kantonspolizei Graubünden. Mit sehr bodenständigen
Menschen.»
«Ich bin selber auch auf dem Boden», erwiderte sie. «Aber muss ich
deswegen meine Neugierde begraben?»
«Nun lass uns erst mal was essen gehen», beschwichtigte Heini.
«Soso, arbeitet die Polizei neuerdings auch an Ostern?», fragte
Toni, der Kellner.
«Leider zwingt uns die Situation dazu», sagte Heini und bestellte
einen Nizzasalat.
«Sa-was?», fragte Toni.
«Sa-la-hat.»
Der Kellner sah Heini gespielt mitleidig an. Heini schickte ihn mit
einer wedelnden Handbewegung fort.
«Ernsthaft, was ist mit dir los? Salat passt nicht zu dir», sagte
Sabina.
«Ich möchte meinen Body-Mass-Index verbessern.»
«Warum?»
«Weil ich dann Geld von meiner Krankenkasse bekomme. Und von dem
Geld kann ich dann ein paar ordentliche Filets kaufen.»
So war Heini. Er hatte eine ganz eigene Logik und einen herrlichen
Humor. Nicht ohne
Weitere Kostenlose Bücher