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Schattengott

Schattengott

Titel: Schattengott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uli Paulus
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über Iris Grenz durchgeben und vereinbarte
für den Nachmittag Zeugenbefragungen. Dann legte sie eine CD mit finnischer Volksmusik ein. Sie hatte sich vorgenommen, in diesem Jahr die
musikalischen Kulturen von mindestens zehn Ländern zu erkunden. Finnland
versprach immer etwas Spannendes. Und die Lieder der Sängerin waren gut
mitzusingen: «Ailole, oilole, eilole, le.»
    Auf dem Polizeiposten in Andeer war normalerweise nur einmal in der
Woche ein Beamter anzutreffen. Aufgrund des neuerlichen Vermisstenfalls war der
Posten vorübergehend ganztägig und auch am Feiertag besetzt.
    «Urs Freisler», stellte sich der dickbäuchige Polizist mit dem
breiten Schnauzer vor und reichte Sabina die Hand. «Wie kann ich Ihnen helfen?»
    «Sabina Lindemann, ich leite mit Claudio Malfazi den Vermisstenfall
Katharina Jakobs.»
    «Ach, sieh an, Frau Lindemann. Ihr Ruf eilt Ihnen voraus», sagte
Freisler und bot ihr einen Platz an.
    «Ich hoffe, ein guter», sagte Sabina.
    «Ja. Aber er bezog sich bisher nur aufs Fachliche.»
    Sie liess den Flirtversuch ins Leere laufen. In dem Büro stand die
Luft; Sabina war danach, ein Fenster aufzureissen.
    «Wie können wir weitermachen?», fragte Freisler, um das entstandene
Schweigen zu brechen.
    «Nun, aufgrund der zeitlichen und räumlichen Nähe der beiden
Vermisstenmeldungen denke ich, dass ein Zusammenhang bestehen könnte», sagte
Sabina.
    «Klingt plausibel», erwiderte Freisler und strich sich bedächtig
über seinen Schnauzbart.
    «Mich interessiert, ob im Umfeld von Iris Grenz oder am Ort, wo sie
zuletzt gesehen wurde, auffällige Zeichen registriert wurden», fuhr Sabina
fort.
    «Was denn für Zeichen?», fragte Freisler mit verschränkten Armen.
    «Zum Beispiel Steine mit eingravierten Worten.»
    Freisler zog die Augenbrauen hoch und kratzte sich am Kinn. Sabina
wurde konkreter.
    «In dem Bus, in dem Katharina Jakobs zuletzt gesehen wurde, lagen in
einem Stoffsäckchen sieben Steine mit darin eingeritzten Worten. Möglicherweise
haben wir es mit einem Entführer zu tun, der bewusst Zeichen hinterlässt.»
    «So was hatten wir hier noch nie», sagte Freisler mit der
Unerschütterlichkeit eines Mannes, für den Veränderung ein Fremdwort war.
    Sabina wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Sie wusste um
die Eigenheiten der Bündner. Und dieser hier schien ein Paradeexemplar zu sein.
Sie musste schliesslich lachen.
    «Es gibt ja nun gerade in unserem Job gerne für alles ein erstes
Mal, lieber Kollege, oder?», sagte sie.
    Freisler hob mit beachtlicher Langsamkeit die Schultern. Sabina
fühlte sich herausgefordert.
    «Ich weiss zwar noch nicht, was es mit diesen Worten auf sich hat»,
sagte sie, «aber ich bin zumindest gewappnet dafür, dass es etwas Neues ist.»
Sie betonte das »Neues« sehr deutlich. Freisler schwieg immer noch. Sabina
verlor die Geduld.
    «Unterrichten Sie mich doch bitte, falls Ihnen irgendetwas in der
Art unterkommt», sagte sie und stand auf. «Etwas, das Sie vorher noch nie
hatten, hm?»
    Sie ging, ohne Freisler noch einmal die Hand zu reichen. Die
Phantasielosigkeit mancher Kollegen hatte sie schon in Zürich manchmal zum
Kochen gebracht. Die selbstgenügsame Dumpfheit dieses Dorfsheriffs allerdings
war eine bisher einmalige Erfahrung für sie.
    Nachdem sie das Polizeibüro verlassen hatte, ging sie ein paar
Schritte durchs Dorf und sah sich beim Schwimmbad um. Ihr fiel nichts
Besonderes auf. Weder im Eingangsbereich noch an der grossen Glasfassade waren
besondere Zeichen auszumachen. Direkt hinter dem Hotel Fravi, das mit dem
Schwimmbad verbunden war, stand auf einem Hügel die alte Dorfkirche. Sabina
schritt den unebenen Weg bergan und achtete auf die Steine am Boden. Es war
nichts Auffälliges zu entdecken. Auf dem Friedhof fand sie das Grab der
Grossmutter Grenz. Weder am Grabstein noch in der Bepflanzung fand sie ein
Zeichen. Sie ging wieder zum Auto und fuhr zurück nach Chur. Die finnische
Musik brachte sie zum Schmunzeln.
    «Etwas erreicht?», fragte Heini, als er sie auf dem Gang traf.
    «Wie willst du mit Kollegen was erreichen, deren Neugierde genau von
der Tellermitte bis zum Rand reicht?», raunzte sie und ging schnurstracks an
ihm vorbei.
    «Hm», murmelte Heini und folgte ihr in ihr Büro.
    Dort deutete er auf das Stoffsäckchen, das auf einer Ablage neben
ihrem Schreibtisch lag.
    «Sag mal, sind da die ominösen Botschaften drin, von denen du heute
Morgen geredet hast?»
    «Das sind Steine, die in dem Bus gefunden wurden, mit dem

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