Schattengott
auf dem Titel.
Höhli errötete.
«Getrennt von Tisch und Bett», stammelte er, «da braucht man schon
mal …»
«Im Knast auch», schnitt ihm Malfazi das Wort ab. «Mitkommen.»
Auf dem Polizeikommando gab Höhli zu Protokoll, Katharina Jakobs
im Bus befördert zu haben, behauptete aber, sie sei an der Haltestelle in
Zillis ausgestiegen, und zwar kurz nach sechzehn Uhr. Auf die Frage, warum er
das nicht sofort mitgeteilt habe, sagte Höhli, er habe Angst gehabt, nach dem
Vorfall mit seiner Frau schon wieder in eine Angelegenheit verstrickt zu
werden, die seinem Leumund schade.
«Das haben Sie jetzt auf jeden Fall geschafft», sagte Sabina, die
den Mann für unschuldig hielt. Sie glaubte nicht, dass er etwas mit dem
Verschwinden des Mädchens zu tun hatte. Auf diese Intuition verlassen durfte
sie sich freilich nicht. Sie liess Höhli im Einvernahmezimmer allein und ging
zu Malfazi ins Büro.
«Ich denke, er hat nichts damit zu tun.»
«Er hat sich auf jeden Fall ermittlungsbehindernd verhalten», sagte
Malfazi, «und er ist ein kleiner Perverser.»
«Wieso das?»
«Er hat perverse Zeitschriften bei sich. Und er wird schon nicht
ohne Grund vor Gericht gestanden haben.»
«Die Justiz hat also mit dem Freispruch unrecht gehabt, und das
Lesen solcher Ramschpornos ist eine perverse Neigung? Das ist doch nicht dein
Ernst, Claudio.»
«Du nervst», murmelte Malfazi; leise zwar, aber laut genug, dass sie
es hörte.
«Was hast du gesagt?»
«Die letzten Nächte waren hart», sagte er und hob entschuldigend die
Hände. «Nichts für ungut.»
«Wo warst du denn die letzten Nächte?», fragte Sabina. Sie glaubte
irgendwie nicht an die Wochenendgeschichte mit der ehemaligen Schulfreundin in
Zürich, die er Heini und ihr aufgetischt hatte.
«Ich war … ach, das geht dich einen Scheissdreck an!» Er
fuchtelte wild mit den Händen in der Luft. «Wir sind hier nicht zum Erzählen
da. Kümmer dich um die Verwahrung unseres Verdächtigen.»
Er nahm seine Jacke und stapfte ohne Erklärung aus dem Büro.
«Ein Bitte wäre hübsch», rief ihm Sabina hinterher und donnerte die
Tür zu.
Sie kannte Malfazi erst seit ein paar Monaten. Er war manchmal
aufbrausend. Er war immer chauvinistisch. Nie aber hatte er so die Fassung
verloren. Irgendetwas hatte ihn völlig aus dem Gleichgewicht gebracht.
Was machte der Kollege eigentlich in seiner Freizeit? Sicher hatte
er viele Verehrerinnen. Seine Latin-Lover-Attitüde, die schwarzen
Designerklamotten, der testosterongetränkte Gang, das gefiel schon mancher
Frau. Aber führte er eine Beziehung? Oder mehrere? Fest stand, dass Malfazi in
seiner Freizeit offenbar etwas tat, was ihn überhaupt nicht entspannte.
Sabina ging zurück zum Einvernahmezimmer. Sie musste Höhli noch
einmal in die Mangel nehmen. Vielleicht hatte er noch etwas wahrgenommen, an
das er sich im Moment nicht mehr erinnerte. Irgendeine Kleinigkeit, die
vielleicht mit dem Verschwinden des Mädchens in Zusammenhang stand. Sie betrat
den Raum und lächelte verbindlich. Höhli versuchte, ebenfalls zu lächeln,
gewährte ihr aber nur einen kurzen Blick auf seine vergilbten Zähne.
«Ich würde mit Ihnen gerne noch einmal über den Freitag reden. Ich
glaube Ihnen das, was Sie gesagt haben. Aber ich möchte Sie bitten, die Situation
im Kopf noch einmal durchzugehen. Fangen wir am Busbahnhof in Thusis an.
Versuchen Sie bitte, sich an alles zu erinnern. Menschen, Dinge, Auffälliges
und Unauffälliges.»
Höhli nahm die Brille ab, stützte den Kopf in die Hände und schloss
die Augen. Mit beiden Händen fuhr er sich durch das schüttere Haar.
«Ich hab ab halb vier am Busbahnhof in Thusis gewartet und bin kurz
vor der Abfahrt noch mal aufs Klo gegangen», sagte er schliesslich. «Als ich in
den Bus kam, waren nicht viele Fahrgäste drin. Zwei jüngere Männer,
Skiwanderer. Die haben ein Ticket gelöst und sind in Donat ausgestiegen. Dann
war da Frau Zügli, die stieg an der Viamala aus. Und das Mädchen, Katharina
Jakobs, die ist in Zillis raus.»
«Ist Ihnen sonst noch was aufgefallen? War das Mädchen besonders
unruhig? Hat jemand sie nach dem Aussteigen angesprochen?»
«Sie stieg hinten aus dem Bus, dann verschwand sie. Ich meine, ich
sehe den Leuten ja nicht nach, sie ging halt einfach.»
«Hatte sie etwas bei sich?»
«Das weiss ich nicht mehr, aber jetzt wo Sie fragen: Da lag noch was
im Bus. So ein Stoffsäckchen mit Steinen drin. Ich hab das an der Post in den
Mülleimer geworfen.»
«Wo, an der
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