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Mord in Mesopotamien

Mord in Mesopotamien

Titel: Mord in Mesopotamien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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1
     
    I n der Halle des Tigris Palace Hotel in Bagdad saß die Krankenschwester Amy Leatheran aus London an einem Tisch und schrieb an eine befreundete Kollegin.
     
    «… Ich glaube, das sind alle Neuigkeiten. Es ist natürlich ang e nehm, etwas von der Welt zu sehen, aber England bleibt für mich stets das Höchste. Der Schmutz und die Unordnung in Bagdad sind unbeschreiblich – kein bisschen romantisch ist es hier, wie man es sich nach der Lektüre von ‹ Tausendundeiner Nacht › vo r stellen könnte. Am Fluss ist es sehr schön, aber die Stadt finde ich entsetzlich – es gibt nicht einen anständigen, sauberen Laden. Major Kelsey führte mich durch die Bazare – man kann nicht leugnen, dass sie einen gewissen Charme haben –, aber es wird viel Schund und Kitsch angeboten, und das ständige Gehämmer auf die Kupferpfannen macht einem Kopfschmerzen, und ich wü r de kein einziges Stück benutzen, bevor ich es nicht gründlich g e reinigt hätte.
    Wenn aus der Stellung von der Dr. Reilly sprach, etwas wird, schreibe ich dir ausführlich. Er sagte mir, der betreffende Amer i kaner sei jetzt in Bagdad und werde mich wahrscheinlich heute Nachmittag aufsuchen. Er will mich für seine Frau anstellen, die, wie mir Doktor Reilly sagte, an Wahnvorstellungen leidet. (Ho f fentlich hat sie nicht Delirium tremens.) Natürlich sagte Dr. Reilly nichts dergleichen, aber er zwinkerte mir so merkwürdig zu. Der Amerikaner, ein Dr. Leidner, ist Archäologe und leitet irgendwo in der Wüste Ausgrabungen für ein amerikanisches Museum.
    Nun, meine Liebe, will ich schließen; du hörst demnächst mehr von mir.
    Herzliche Grüße
    deine Amy Leatheran. »
     
    Sie steckte den Brief in einen Umschlag und adressierte ihn an Schwester Curshave, St.-Christopher-Krankenhaus, London. Gerade als sie ihren Füllfederhalter zuschraubte, meldete ihr ein arabischer Hotelpage: «Ein Herr möchte Sie sprechen.»
    Schwester Leatheran wandte sich um und sah einen mittelgroßen Mann mit leicht nach vorn gebeugten Schultern, braunem Bart und freundlichen, müden Augen vor sich. Dr. Leidner seinerseits erblickte eine etwa fünfunddreißigjährige Frau mit aufrechter, selbstsicherer Haltung, einem gutmütigen Gesicht mit leicht vorstehenden blauen Augen und glattem braunem Haar. Er fand, sie sehe aus, wie eine Krankenschwester für Nervenkranke aussehen soll: freundlich, robust, gescheit und sachlich.

2
     
    I ch kann nicht behaupten, eine Schriftstellerin zu sein oder auch nur eine Ahnung von Schriftstellerei zu haben. Ich schreibe diesen Bericht lediglich, weil Dr. Reilly mich darum bat und es schwer ist, ihm etwas abzuschlagen.
    «Aber Herr Doktor», rief ich, «ich verstehe doch nichts von Literatur, ich bin doch keine Schriftstellerin.»
    «Ach was», erwiderte er, «stellen Sie sich einfach vor, Sie schrieben eine Krankengeschichte.»
    Man kann es natürlich auch so sehen.
    Dr. Reilly sagte, man brauche einen unvoreingenommenen Bericht über die Ereignisse in Tell Yarimjah. «Wenn eine der interessierten Parteien ihn schreibt, überzeugt er nicht, man würde sagen, er sei beeinflusst.»
    Das stimmte. Ich war schließlich, obwohl ich alles miterlebt hatte, eine Außenstehende.
    «Warum schreiben Sie ihn nicht selbst, Herr Doktor?», fragte ich.
    «Weil ich nicht dabei war – Sie aber waren es. Und außerdem», fügte er seufzend hinzu, «würde meine Tochter es nicht erlauben.»
    Es ist wirklich eine Schande, wie er unter dem Pantoffel dieses jungen Dings, seiner Tochter, steht. Ich wollte gerade eine diesbezügliche Bemerkung machen, als ich sah, dass er mir zuzwinkerte; das ist das Schlimme bei Dr. Reilly: Man weiß nie, wann er es Ernst meint und wann er Spaß macht. Er sagt alles im gleichen langsamen, melancholischen Ton, doch oft mit einem leichten Zwinkern.
    «Gut», lenkte ich zögernd ein, «ich glaube, ich schaffe es.»
    «Natürlich werden Sie das!»
    «Ich weiß nur nicht, wie ich anfangen soll.»
    «Dafür gibt es eine gute Richtschnur. Sie fangen mit dem Anfang an, fahren bis zum Ende fort, und dann hören Sie auf.»
    «Ich weiß nicht einmal genau, wo und was der Anfang war», entgegnete ich unschlüssig.
    «Die Schwierigkeiten des Anfangens sind ein Kinderspiel im Vergleich zu den Schwierigkeiten des Aufhörens. Wenigstens geht es mir so, wenn ich einen Vortrag halten muss. Man muss mich an den Rockschößen packen und mit Gewalt vom Rednerpult wegzerren.»
    «Sie scherzen, Herr Doktor.»
    «Es ist mein voller Ernst. Aber was

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