SchattenGrab
hielt sich die Hände vor die Augen. Dabei sagte sie fortwährend: „Nein, nein, nein …“ Justus saß schweigend da, als ob dasGesagte zu groß oder zu unwahrscheinlich war, als dass er es fassen konnte. Dann stand er auf und goss sich einen Cognac ein. Seine Stimme schien aus der Ferne zu kommen, als er fragte: „Wie?“
„Das wissen wir noch nicht so genau“, sagte Büthe vorsichtig. Marga hatte sich inzwischen zu Verena gesetzt, die mit dem Oberkörper rhythmisch hin- und herwippte, dabei immer neue „Neins“ jetzt ohne Stimme formte, und streichelte ihre Hand.
„War es ein Unfall?“ Justus’ Augen starrten ins Leere.
„Auch das wissen wir noch nicht“, erklärte der Kommissar und zuckte zusammen, weil Verena plötzlich schrie: „Er ist bestimmt umgebracht worden, genau wie Sophie. Da will jemand deine Familie ausrotten und du bist hoffentlich der Nächste. Aber warum die Unschuldigen?“, schluchzte sie, „warum haben sie nicht mit dir angefangen? Wahrscheinlich hatten sie es von Anfang an nur auf dich abgesehen.“
Ihre Worte waren neue Dolche, die sich in sein Herz bohrten. Wohin war die Liebe entschwunden, von der er glaubte, dass sie sie einmal für ihn empfunden hatte? Aber er blutete ohnehin schon seit jener Nacht. Es waren einfach weitere Wunden, durch die seine Liebe aus ihm herausrann und langsam vertrocknete.
Das Essen
Peter hatte sich auf dem Weg nach Todenmann tatsächlich ein paar Frikadellen und drei Schnitzel aus der „Quickteria“ geholt. Zwei Buletten waren schon auf der Fahrt in seinen Magen gewandert und er liebäugelte mit der dritten. Bis zum Ortsschild Kleinenbremen widerstand er der Versuchung, aber sein eigenes Fleisch war zu schwach, um dem von Schwein oder Kuh nicht zu erliegen. Endlich spürte er ein angenehmes Gefühl. Die Leere war besiegt, von Sättigung konnte noch keine Rede sein, aber er musste wenigstens nicht mehr dauernd ans Essen denken. Auch den leckeren Duft aus der Tüte konnte er jetzt besser ertragen. Nadja schmunzelte nur und sagte dann: „Deine Fleischeslust wird dich ein paar Lebensjahre kosten. Zu viel tierisches Eiweiß, zu viel Fett. Ich werde dann verkalkte Gefäße und neben einer schönen Fettleber weitere degenerative Veränderungen vorfinden.“
„Ich will nicht wissen, wie ich von Innen aussehe. Unter Fleischeslust verstehe ich auch etwas ganz anderes. Das kann ich dir nachher mal zeigen“, sagte er mit anzüglichem Blick auf ihre Brüste.
„Apropos Lust“, griff Nadja das Thema auf, das sie vorhin mit Wolf gehabt hatte, „ich wusste gar nicht, dass der Neue keine Lust auf Obduktionen hat.“
„Denkst du eigentlich an nix anderes?“, fragte Peter ernüchtert.
„Doch schon, aber ich hatte vorhin das Gefühl, du hättest irgendwie ein Problem mit diesem … wie heißt er noch?“
„Detlef“, sagte Peter genervt.
„Siehst du“, stellte Nadja fest, „du reagierst sofort emotional. Die Abneigung dringt aus all deinen Poren. Kannst du mir sagen, warum?“
Peter grummelte und murmelte dann: „Der ist andersrum!“
„Du meinst, er ist homosexuell?“, wollte sie wissen.
„Ja, so ein Schwanzlutscher …“
„Ach so, es ist ein Unterschied, ob eine Frau oder ein Mann das macht?“, fragte sie provokativ.
„Ganz bestimmt!“ Peter nickte.
„Und warum?“
„Keine Ahnung, es ist eben so“, gab Peter zurück und zuckte mit den Schultern, „die Vorstellung ist allein schon pervers.“
„Dann unterscheidest du, wer die Handlung ausführt?“
„Ja, genau!“
„Und wie ist es beim Analverkehr?“
Peter hustete und verschluckte sich. „Das kann ja nun nur der Mann.“
„Stimmt, aber der Partner könnte männlich oder weiblich sein.“
„Ihhh“, Peter verdrehte die Augen, aber Nadja ließ nicht locker.
„Grundsätzlich ihhh, oder nur wenn zwei Männer es tun?“
„Äh, weiß nicht …“, stammelte Peter.
„Ist auch schwierig zu beantworten“, gab Nadja zu, „da sind nämlich alle gleich, egal ob Männlein oder Weiblein.“
„Ey, jetzt hör damit auf. Ich hab sofort Kopfkino“, beschwerte sich Peter.
„Wohl früher selber mal an anderen Jungs rumgefummelt, wie?“, bohrte sie nach.
Peters Gesicht wurde puterrot. Er schwieg. Nadja lächelte in sich hinein.
Das hatte sie geahnt. Und da lag auch der Hase im Pfeffer.
„Mensch, Peter“, sagte sie nach einer Weile, „das ist doch total normal. Die meisten Heranwachsenden machen ihre Erfahrungen mit beiden Geschlechtern. Daran ist nix Schlimmes.
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