SchattenHaut
Benommenheit. Dafür fühlte er jetzt wieder das Ziehen im Unterleib. Er tastete an sich herum und spürte einen dünnen Draht zwischen seinen Fingern. Ein weicher Draht, den er zusammendrücken konnte. Er zog daran. Das unangenehme Gefühl wurde stärker, tat fast weh. Vorsichtig fuhr er an dem Draht entlang, der durch das Gitter nach draußen führte. Wohin, konnte er weder sehen noch durch das Geflecht fühlen. In der anderen Richtung führte der Draht direkt zu ihm. Zu seinem Schwanz. Ihm wurde schlecht. Das war kein Draht, das war ein Katheter. Er fühlte. Und er fühlte nichts. Öffnete den Knopf der Hose. Der Reißverschluss war bereits offen. Tastete am Schlauch entlang in seine Unterhose. Der endete im Nichts. Er würgte. Erbrach Wasser und Galle, denn sein Magen war noch leer. Schrie ohne Worte und weinte gleichzeitig. Konnte es nicht glauben, dass da nichts war. Tastete wieder und wieder, auch unten zwischen den Beinen, und fühlte nur Reste von Fäden. Er war ein Krüppel, ein Nichts, weniger als Nichts. Und er saß in einem Käfig. Gefangen wie ein Vieh. Allmählich ging seine Wut in Schluchzen über. So lag er lange auf dem feuchten Fell, bis der Stress und die Nachwirkungen der Narkose ihm Schlaf schenkten.
Die Obduktion der Ratte
Es wurde Abend, bis Mica ihn auf seinem Handy zurückrief.
„So, du von Verfolgung geplagter Wolf, jetzt kann ich Licht in deine düsteren Gedanken bringen“, sagte sie ernst. „Im Halsbereich der Ratte fanden sich mehrere kleine Einstiche.“
„Heißt das, sie ist ermordet worden?“, rutschte es ihm heraus.
„Hängen wir es nicht so hoch auf, Hetzer. Sie ist auf jeden Fall getötet worden und nicht eines natürlichen Todes gestorben. Wobei diese Formulierung auch nicht genau zutrifft.“
„Ich verstehe nur Bahnhof. Kannst du dich nicht vielleicht ein bisschen deutlicher ausdrücken. Es ist echt wichtig für die Ermittlung.“
„Ist ja schon gut. Also, in den Wundkanälen habe ich Speichel von Feliden gefunden. Du hast wohl eine Verehrerin oder einen Verehrer.“ Wolf konnte im Geiste Micas Grinsen sehen und grummelte innerlich. Sie hätte auch Katzenspucke sagen können. Aber das war typisch Mica, die jetzt beim Sprechen das Lachen kaum unterdrücken konnte: „Eier hatte sie übrigens keine, weil sie ein Weibchen war. Und ersoffen ist sie auch nicht. Vielleicht, weil sie übers Wasser wandeln konnte…“
Hetzer schäumte, aber er wollte ihr den Triumph nicht gönnen.
Darum ließ er sich nichts anmerken und sagte gelangweilt: „Gut, dann ist sie von einer Katze erlegt worden. Vielen Dank.“
Danach legte er einfach auf, ohne ihre Reaktion abzuwarten. Mica starrte den Hörer an. Hatte er einfach aufgelegt? Wenn das kein Verbindungsfehler war, war er sauer. Schade. Sie hatte einen Spaß machen wollen und der war mächtig nach hinten losgegangen.
Wolf Hetzer kam sich vor wie ein Riesenrindviech. Er konnte Mica den Schabernack nicht einmal verübeln. Es war wirklich dämlich gewesen zu glauben, dass ihm jemand eine ertränkte, kastrierte Ratte vor die Tür gelegt hatte, nur weil ein Pfarrer aus Hameln so gestorben war. Völlig blöd. Er hatte sich selbst zu wichtig genommen. Sie hatten noch nicht einmal den Ansatz einer Spur. Wer sollte ihn da also im Visier haben? Er hoffte, dass Mica diese Geschichte einfach auf sich beruhen ließe und nicht weiter in der Wunde bohrte.
Wütend über sich selbst beschloss er, den Tag wenigstens gut ausklingen zu lassen. Die Ermittlungen hatten sie nicht weitergebracht. Weder in Hameln noch in Rinteln. Sie hatten so wenig in der Hand. Kaum Spuren am Tatort von Pfarrer Fraas. Keine im Fall Benno Kuhlmann, der immer noch verschwunden war, und von dem sie nicht wussten, ob er überhaupt noch lebte. Bei diesen trüben Gedanken beschloss er, den Kaminofen anzuzünden und sich ein schönes Essen zu kochen.
Er holte gerade Holz aus dem Schuppen im Hof, als Moni mit Gaga um die Ecke bog. Bei ihr machte selbst Emil kein Geschrei.
„Hallo, ihr zwei!“, sagte er und griff den schweren Korb. „Wollt ihr mit reinkommen?“
„Ich nicht, ich muss gleich zum Yoga!“, sagte Moni und strich sich eine nasse Strähne aus der Stirn. Es hatte zu regnen begonnen. „Und danach will ich noch in die Sauna!“
„Oh, wie schön!“, seufzte Hetzer und dachte daran, dass er unbedingt noch eine Sauna an sein Hexenhäuschen anbauen wollte. In diesem Jahr würde das nichts mehr werden.
Bennos Ende
Als Benno wieder erwachte, war es nicht mehr
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