Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
SchattenHaut

SchattenHaut

Titel: SchattenHaut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nané Lénard
Vom Netzwerk:
dunkel im Raum. Er sah, dass er sich in einem von mehreren Käfigen befand, die in einer Art Souterrain oder Keller standen. In der Mitte stand ein Edelstahluntersuchungs- oder, ihn schauderte, Seziertisch mit Schnallen aus Leder. Wo war er? Und warum war er hier? Da fiel ihm sein Zustand wieder ein. Und er begann erneut zu weinen. Er konnte jetzt auch sehen, wie die gelbe Flüssigkeit, die sein Urin sein musste, den Schlauch entlangfloss und irgendwohin geleitet wurde. Noch einmal fühlte er in seiner Hose nach, aber es war alles weg, was ihn zum Mann gemacht hatte. Er war ein Neutrum. Ein Nichts. Konnte er überhaupt noch geil werden? Und wenn ja, wie sollte er sich abreagieren. Da war nichts mehr, woraus er spritzen konnte. Da war auch nichts mehr, womit er spritzen konnte, fiel ihm ein. Er hatte keine Eier mehr. Wieder liefen ihm Tränen übers Gesicht. Wo war der Mensch, der ihm das angetan hatte? Und was hatte er noch mit ihm vor? Er wollte nach Hause. Aber was sollte er seiner Frau erzählen? Wie lange ließ sich dieser Zustand geheim halten?
    Plötzlich waren Schritte auf der Treppe zu hören. Sie kamen näher. Die Tür wurde aufgeschlossen und eine dunkle Gestalt näherte sich ihm.
    Benno hatte Angst. Er kauerte sich in seine Ecke zurück und zitterte.
    „Hast du schon bemerkt, dass du kein Mann mehr bist?“
    Benno antwortete nicht. Er brachte keinen Ton aus seiner Kehle, obwohl er es versuchte.
    „Du musst nichts sagen. Ich weiß, du kannst nicht sprechen.“
    Benno erstarrte. Wieso konnte er nicht sprechen. Er versuchte es mit einem „Aaaa“ und hörte sich nicht. Er versuchte es lauter und versuchte zu schreien. Um Hilfe oder Gnade. Um etwas, das ihn erlöste.
    „Streng dich nicht so an!“, sagte das Flüstern neben ihm beruhigend. „Du kannst nicht sprechen, weil ich dir deine Stimme genommen habe. Du hast eh nur Scheiße erzählt. Viel Blabla und lauter Lügen. Versprechungen, die du nie gehalten hast. Meinungen, die keiner hören wollte. Ansichten, die Menschen verletzen, so wie mich. Aber du wirst nie wieder etwas sagen.“
    Mit tränenüberströmtem Gesicht begriff Benno Kuhlmann, dass der Mann sich an ihm rächen wollte. Er hatte doch nie wirklich jemandem etwas getan. Vielleicht hatte er seine Vorteile als stadtbekannter Politiker ausgenutzt. Ein bisschen geschachert und betrogen, aber das machte doch jeder.
    „Wie fühlst du dich eigentlich, so ohne Gemächt? Die Wunden sind gut verheilt. Du könntest damit alt werden. Die Lust würde allmählich nachlassen, falls du aufgrund deiner Situation überhaupt welche hättest.“
    Benno wurde kalt. Wieso der Konjunktiv? Wieso würde, hätte und könnte? Der Mann wollte ihn nicht am Leben lassen. Angst war auf einmal überall in ihm. Er spürte den Hass jetzt deutlich durch das Käfiggitter. Wie eine böse Aura, die den Raum überschwemmte.
    „Glaub mir, ich weiß genau, wie du dich fühlst. Man gehört nicht mehr dazu. Weil Leute wie du glauben, Dinge besser zu wissen, von denen sie nicht das Geringste verstehen. Und man will nie entdeckt werden. Davor brauchst du dich nicht zu fürchten, denn jeder wird es wissen. Sie werden es sehen, wenn sie dich finden.“
    Benno drängte sich noch tiefer in die Käfigecke.
    „Keine Angst, Kuhlmann. Du wirst nicht lange leiden. Ich werde dich als das umbringen, was du zu Lebzeiten warst – ein Schwein.“ Die Stimme lachte und entfernte sich.
    In Bennos Kopf ging alles wild durcheinander. Filme der Vergangenheit liefen in ihm ab. Er sah seine Villa, seine Frau, die Kinder an einem Sommertag. Er sah sich beim Rasieren mit Schaum im Gesicht. Seine Mutter nickte ihm zu. Der Biergarten wurde in seinen Gedanken greifbar. Er wollte trinken. Wo war die Flasche? Er robbte in die andere Ecke, aber er war fahrig. Die Flasche glitt ihm aus der Hand und zersprang auf dem Boden. Überall Scherben. Vor Wut riss er an den Gittern und an sich und an dem Schlauch. Mit einem Ruck und einem dumpfen Schmerz glitt der Katheter aus seiner Blase. Nicht einmal schreien konnte er. Aber er konnte sich umbringen mit einer Scherbe. Er wollte nicht darauf warten, dass der Fremde wiederkam. Mit Überwindung senkte er die Scherbe ins Fleisch. Diese war nicht scharf genug. Er kam nicht weiter. Die Haut blutete nur oberflächlich. Diese hier war spitzer. Er musste zustechen und den Schmerz aushalten.
    Beim ersten Versuch blieb das Glasstück stecken. Er jaulte innerlich. Zog es wieder heraus und hörte Schritte. Der Fremde kam

Weitere Kostenlose Bücher