SchattenHaut
die Tongrube an der alten Ziegelei im Höppenfeld. Mittlerweile war dort ein Biotop entstanden. Der Teich lag schon jahrelang da, sich selbst überlassen. In den Steilwänden nisteten Eisvögel. Im Wasser schwammen Schleien, Barsche, Karpfen, ja selbst Forellen lebten hier. Das Gewässer wurde durch unterirdische Quellen der Beeke gespeist und floss wieder in den Bachlauf abwärts. Tagsüber gingen entlang des Teiches gerne Menschen mit ihren Hunden spazieren, doch in der Dunkelheit wagte sich kaum jemand hierher. Am Seiteneingang des evangelischen Friedhofs vorbei musste man ein ganzes Stück durch freies Feld gehen. Es war unheimlich hier draußen. Das Teichgelände selbst war mittlerweile so zugewachsen, dass man kaum noch ans Wasser kam. Und selbst wenn, musste man aufpassen, dass das Ufer nicht einbrach, weil es unterspült war, oder dass man nicht auf dem lehmigen Untergrund ausglitt.
Sabine konnte sich noch nicht wieder richtig grade halten. Die Wunden schmerzten noch zu sehr. Am Sonntagabend hatte er ihr die Drainagen gezogen. Mit einem Ruck. Das war das Beste, meinte er. Sie brauchte sie nun nicht mehr. Die Arme hatte er ihr – noch bevor sie richtig wach war – mit Kabelbindern zusammengebunden. Wahrscheinlich hätte Sabine sich sowieso nicht mehr zur Wehr gesetzt. Ihr Widerstand war gebrochen. Sie war nicht dumm, hatte die Ausweglosigkeit der Situation erkannt und sich in ihr Schicksal ergeben. Ihr Peiniger war nun ganz in schwarz gekleidet. Ungeduldig schob er sie ins Auto. Es musste schon Nacht sein oder später Abend. Sie erkannte das Auto sofort wieder. Sie war hier neulich in gutem Glauben eingestiegen, um zu helfen. Alles Lüge. Doch warum nur? Was wollte der Mann von ihr, und was hatte er ihr alles angetan? Sie war jetzt sowieso ein Nichts. Verstümmelt. Unmenschlich. Kein Mensch mehr. Genau wie der Fremde. Er hatte ihr ihre Eingeweide unter die Nase gehalten. Als ob es das noch schlimmer gemacht hätte. Zu diesem Zeitpunkt nicht mehr. Da war sie schon innerlich tot. Was konnte jetzt noch kommen?
Die Fahrt kam ihr endlos vor, dabei kannte sie den Weg. Durch Vehlen hindurch in Richtung Bückeburg. Am ersten Kreisel rechts und wieder rechts, bis zum Friedhof. Da hielt der Wagen an, die letzte Biegung nahm er ohne Licht, ließ sich vom Dunkel verschlucken.
Leise öffnete er die Beifahrertür, zog sie an den gefesselten Händen heraus und schob sie in Richtung Feldweg. Über der Schulter trug er einen Beutel. Sie ging leicht nach vorn gebeugt, ob vor Schmerz oder Kummer, das ließ sich nicht mehr unterscheiden. Alles war eins.
Sie stolperte vor ihm den unebenen Weg entlang. Hier sah man fast gar nichts. Die Mondsichel gab nicht genug Licht und oft blieb sie hinter den Wolken verborgen. Inzwischen hatten sie einen Bach erreicht, es plätscherte leise. Das musste die Beeke sein. Sabine kannte das Gelände von früher, als hier noch die Ziegelei stand. Der Schornstein war irgendwann gesprengt worden, dann war es zur Müllkippe und mittlerweile zum Naherholungsgebiet geworden. Was für komische Gedanken ihr kamen. Ihr fiel wieder ein, wie sie in dem Teich hier links mal nackt geschwommen war. Mit ihrem Liebsten, heimlich in der Nacht. Jetzt war es wieder Nacht. Und er trieb sie durch Büsche und Sträucher zum Wasser. Wie zugewachsen hier jetzt alles war, sie hatte große Mühe voranzukommen. Die Wunden taten weh, jeder Schritt wurde zur Qual. Hoffentlich würde es bald zu Ende sein. Egal wie. Sie tippte auf Ertränken und wunderte sich, wie ruhig sie war.
„Tut mir leid, dass ich dir den Weg hierher nicht ersparen kann. Mit dem Auto wäre es zu auffällig gewesen.“
Sie waren an einer Bank angekommen. Morsch und leicht ramponiert. Sabine stützte sich darauf ab.
„Wunderst du dich gar nicht, was mit dir passiert ist? Und warum du hier bist?“
Sabine hob nicht einmal den Kopf.
„Du bist hier, weil du eine dumme Gans bist. Redest anderen nach dem Mund, wenn sie Schicksal spielen. Setzt dich nicht durch, auch wenn du anderer Meinung bist. Das hätte dir deinen Kopf retten können. So wirst du ihn verlieren.“
Und noch bevor er ihr den Schlag versetzte, der ihr die Sinne nahm, flüsterte er Worte. Worte, die sie begreifen ließen, was sie getan hatte. Was sie ihm angetan hatte und warum sie heute hier war.
Dass er sie bewusstlos geschlagen hatte, war ein Geschenk der Milde. Aus Mitleid. Sie war nur dumm, nicht böse. So merkte sie nicht, dass er drei Versuche brauchte, bevor sich der Kopf
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