SchattenHaut
Achseln zu rasieren und da lag sie voll im Trend. Nur der Busen wollte nicht wachsen. Im Spiegel fand sie, dass sie nun noch mehr wie ein Kind aussah.
Seit dem Herbst hatte sie sich angewöhnt, die kleinen Lavendelkissen aus ihrem Schrank in einen BH zu stecken, den sie von Iris bekommen hatte. Er war ihr längst zu klein geworden. Für Susi war das nach außen hin die Rettung. Und Mutter, die nicht so genau auf sie achtete, sagte eines Abends zu ihrem Mann:
„Siehst du, Otto, das war alles falscher Alarm. Du hast die Pferde scheu gemacht. Jetzt hat sie schon ein bisschen Brust entwickelt. Du wirst sehen, dass sie nun bald ihre Regel bekommt.“
Doch Vater hatte darauf bestanden, dass sie zum Frauenarzt ging. Zu Prof. Dr. Buddensiek. Er war ein Kollege von ihm, Fachrichtung Gynäkologie, leitete die Abteilung in Rinteln. Und da saß sie nun in diesem Wartezimmer mit den anderen Frauen, die neugierige Blicke auf sie warfen. Jedenfalls empfand sie das so.
Das Warten dauerte nicht lange, leider, wie Susi dachte. In einer Kabine musste sie sich ausziehen, untenrum. Ausgerechnet dort. Das war ihr peinlich. Sie fühlte sich so nackt. Ob er sehen würde, dass Stefan und sie neulich zusammen waren? Und würde er es Mutter sagen? Die wartete zum Glück im Sprechzimmer des Professors.
Dass der Arzt versucht hatte, sie selbst mit Worten zu beruhigen, hatte Susi nur am Rand wahrgenommen. Sie fühlte sich ausgeliefert, wie sie dort auf dem Stuhl lag und die Beine spreizen musste. Ihr Intimstes, ihr Innerstes musste sie einem Wildfremden zeigen, einem alten Sack, der zwischendurch nachdenklich brummte und nun gar nichts mehr sagte. Er versuchte mit einem Instrument in ihr herumzustochern und ließ sich von der Schwester ein kleineres bringen. „Das für Kinder“, rief er ihr hinterher. Sie war doch kein Kind mehr. Doch auch damit gelang es ihm kaum, sie zu untersuchen. Und Susi biss die Zähne zusammen. Es tat weh. Oh, es tat so erbärmlich weh, was der da machte. Wollte er sie innen zerreißen? Tränen liefen ihr aus den Augen, aber sie schrie nicht. Jetzt fummelte er auch noch weiter vorne an ihr herum. Zog ihre Schamlippen auseinander und nickte bedächtig.
„Schön, schön“, sagte er, „so, du kannst dich unten herum wieder anziehen und den Oberkörper frei machen.“
Auch das noch. Vorsichtig zog sie den Lavendel-BH aus.
„Heb mal die Arme. Aha. Ja, und hast du ein Ziehen in der Brust? Noch nicht, ok. Im Unterleib? Auch noch nicht.“ Er schrieb alles in seine Karteikarte. „So, du kannst dich jetzt wieder komplett anziehen und dann warte bitte hier.“
Während Susi den Pullover überstreifte, hörte sie, wie der Arzt mit Mutter sprach, aber er hatte die Tür angelehnt und so konnte sie nicht hören, was er sagte, nur, wie er es sagte. Schonend und beruhigend, während Mutter immer aufgeregter und fast hysterisch laut wurde. Doch auch da drangen nur einige Worte zu ihr wie: Plastik, …trogene, Mädchen. Sie blieb still sitzen, den Kopf gesenkt und wer sie gesehen hätte, hätte den Eindruck gehabt, sie warte auf ihre Verurteilung.
So fühlte sich Susi auch, wie an einem Kellertag. Wo sie unten bei der Heizung stand und wartete. Auf die Bestrafung. Aber sie hatte doch gar nichts gemacht.
Mutter war wie verändert, als sie mit ihr aus der Praxis ging. Wortkarg, ruppig und unnahbar. Und Susi sah, dass sie geweint hatte.
„Was ist denn Mama?“
„Nichts!“
„Ist irgendwas mit mir. Bin ich krank?“
Sie antwortete nicht.
„Mama, nun sag doch was!“
„Ich kann jetzt nicht.“
„Wieso? Muss ich sterben?“
„Nein. Wie kommst du denn darauf?“
„Weil du so traurig bist!“
„Ich muss erst mit Vater sprechen. Lass mich jetzt bitte.“
„Aber, wenn ich krank bin, muss ich das doch wissen.“
„Susi, jetzt hör bitte auf. Wir reden zu Hause.“
Das war gemein. Susi schmollte. Wenn sie nun schon krank war, wollte sie wenigstens wissen, was mit ihr los war. Das konnte doch nicht so ein Geheimnis sein.
„Muss ich ins Krankenhaus?“, startete sie einen neuen Versuch.
„Vielleicht, aber jetzt ist Ruhe. Ich muss nachdenken. Ich möchte jetzt kein Wort mehr von dir hören. Sonst halte ich am Straßenrand an und du kannst zu Fuß nach Hause gehen.“
Da schwieg Susi lieber, denn der Weg von Rinteln nach Obernkirchen war weit.
Im Element
Nadja war in ihrem Element. So viel Freude am Beruf konnte sich nicht einmal Mica auf die Fahne schreiben, obwohl sie eine Koryphäe auf dem Gebiet der
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