Schattenjagd
die reißenden Wassermassen alles fortgerissen.
Es ging so schnell, dass es Mythor wie ein Traum vorkam.
Aber es war kein Traum. Die Schwärze war fort, weggespült vom alles reinigenden Wasser.
Mythor gab einen glucksenden Laut von sich. Er war den Schattenlos!
Sadagar fiel ihm in die Arme und blieb so mit bebendem Körper an ihn gelehnt. Er löste sich erst, als No-Ango an ihm zupfte. Er deutete in die Höhe, die Felswand hinauf. Mythor verstand, sie mussten weiter.
Sie setzten den Aufstieg fort. Jetzt fiel alles viel leichter, sie mussten sich nicht abhetzen, denn hinter ihnen jagte kein Schatten her.
Unter ihnen war das Tosen der fallenden Wasser. Aber die mörderische, reißende Strömung stellte für Mythor keine Bedrohung dar. Sie hatte ihn von seinem Schatten befreit.
Mythor kam hinter Sadagar und No-Ango auf einen schmalen Pfad. Unweit vor ihnen war eine Höhle. Er sah den Steinmann und den Rafher darin verschwinden. Als er ihnen folgen wollte, richtete sich aus einer Felsspalte plötzlich ein Schwert auf ihn.
Sein erster Gedanke war: Kampf. Er hielt immer noch Sadagars zwei Wurfmesser in Händen. Ein schneller Ruck, und er hätte sich mit den beiden Klingen des drohenden Schwertes entledigen können.
Aber dann sah er, dass seine Begleiter in der Höhle ebenfalls bedroht wurden. Da ergab er sich. Er ließ die Messer fallen.
Verhüllte Gestalten tauchten aus der Höhle auf, flinke Hände nahmen seine Messer auf, und drängten ihn daraufhin in das Dunkel des Felsgangs hinein.
Sie wurden in eine große Höhle geführt, die von einigen Öllampen erhellt wurde. Auf dem Weg dorthin waren sie an kleineren Nebenhöhlen vorbeigekommen. In diesen waren schafsähnliche Tiere zusammengepfercht, die Mythor an die Gromme aus Südsalamos erinnerten, nur dass sie kleiner waren, dafür aber einen dichteren Wollpelz hatten.
In der großen Höhle war es warm, obwohl kein Feuer brannte. Die Luft war von einem Duftgemisch aus Schweiß, Mist und Rauch, der durch einen Gang hereinwehte, durchsetzt. Über den Boden verteilt kauerten die verhüllten Gestalten und waren in verschiedene Arbeiten vertieft. Da sie auch Gesichtstücher trugen, die nur schmale Schlitze für die Augen frei ließen, konnte man Frauen und Männer nicht voneinander unterscheiden.
Die meisten waren damit beschäftigt, aus großen Knäueln flaumiger Wolle Fäden zu ziehen und auf Spindeln zu wickeln, die sie zwischen ihre Knie geklemmt hatten. Nur wenige von ihnen waren mit Krummschwertern oder Dolchen bewaffnet. Dafür sah Mythor überall an den Wänden lange, schwere Stöcke mit keulenartigen Verdickungen lehnen; die Keulenenden waren mit Dornen gespickt.
Mythor und Sadagar wurden von zwei Schwertträgern bewacht. Sie hatten sich kaum in dem ihnen zugewiesenen Winkel niedergelassen, als No-Ango zurückkam. Sein Gesicht war unbemalt, so dass die hellere Hälfte sich deutlich von der anderen abhob.
Er lächelte ihnen entgegen und sagte: »Ihr habt nichts mehr zu befürchten. Die Rafher-Ayna, wie sich diese Bergnomaden nennen, haben euch anfangs für Krieger des Shallads gehalten. Auf die sind sie nämlich nicht gut zu sprechen. Aber ich konnte sie eines anderen überzeugen.«
»Dann sind wir keine Gefangenen mehr, No-Ango?« fragte Mythor und deutete auf die beiden Wachen.
»Ich bin nun wieder nur mehr Ango, denn mein Gesicht ist nicht gespalten«, berichtigte ihn der Rafher. An die beiden Wachen gewandt, sagte er: »Ihr könnt gehen, das sind Freunde.«
Die beiden Rafher-Ayna steckten die Krummschwerter in die Scheiden und zogen sich lautlos zurück.
»Wir können hier bis morgen bleiben«, sagte Ango. »Dann müssen wir weiter. Die Ayna sind zwar nicht ungastlich, aber sie sehen Fremde nicht gerne in ihren Lagerhöhlen.«
Ango erzählte einiges über die Bergnomaden, die nicht gewillt waren, sich dem Shallad zu unterwerfen. Obwohl Rafhers Rücken zu Moro-Basako gehörte, waren die hier lebenden Bergvölker auf ihre Eigenständigkeit bedacht. Es gab überall in den Bergen solche Höhlen wie diese, die das Wasser vor Urzeiten gegraben hatte. Die Bergnomaden ließen sich von Zeit zu Zeit in ihnen nieder, bis die umliegenden Weidegründe unergiebig wurden, dann zogen sie weiter.
Die meisten der Nomaden waren früher Bewohner des Flachlands gewesen, doch die ewigen Kämpfe zwischen Moronen und Basakotern hatten sie nach und nach in die Berge vertrieben. Hier führten sie ein einfaches, aber unabhängiges Leben.
Sie hassten Shallad Hadamurs
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