Schattenjagd
Vogelreiter. Ganz allgemein waren sie fremdenscheu und in ihrer Art stolz und selbstbewusst. Sie brauchten nichts, was höherstehende Kulturen zu bieten hatten, und waren sich selbst genug.
»Ich genieße den Vorzug, dass auch ich ein Sohn der Berge bin«, schloss Ango. »Für die Nomaden bin ich fast so etwas wie ein Heiliger, weil ich zum Volk der gespaltenen Gesichter gehöre. Es geschieht selten, dass sie einen von uns zu sehen bekommen. Ihre Verehrung hat jedoch Grenzen.«
Zwei der Verhüllten kamen mit trippelnden Schritten heran. Sie trugen zwischen sich ein Gestell mit drei großen Schüsseln, denen Dampf und ein verführerischer Duft entstiegen.
»Greift zu und trinkt!« forderte Ango auf. »Dieses Gebräu sieht nach nichts aus, aber es ist überaus nahrhaft und schmeckt auch noch gut.«
Mythor und Sadagar nahmen jeder eine der Schüsseln an sich und schlürften die dickflüssige, dampfende Flüssigkeit.
»Schmeckt wirklich ausgezeichnet!« lobte Sadagar. »Aber sage, Ango, wie kommt es, dass dein Gorgan wie das der Moronen klingt, obwohl dein Volk in der Abgeschiedenheit dieser Bergwelt wohnt?«
»Ich bin so etwas wie ein Kundschafter«, antwortete Ango. »Ich wurde, wie einige andere meines Volkes auch, ausgeschickt, um die Lage zu erkunden und manchmal, wenn es sein musste, auch falsche Fährten zu legen. Das alles hat eine tiefere Bedeutung, über die ich noch nicht sprechen möchte. Bei einem dieser Vorstöße ins Flachland wurde ich von Vogelreitern aufgegriffen. Ich hatte mein Gesicht natürlich verhüllt, doch das nützte mir nichts. Als sie mir das Gesichtstuch abnahmen und meine Gesichtsspaltung sahen, wussten sie sofort, welchen Fang sie gemacht hatten. Alles Weitere könnt ihr euch denken. Ich wurde zu Ganif gebracht, der sich durch einen Kurier vom Shallad alle Vollmachten geben ließ, unser Volk zu vernichten. Natürlich nannte er es >bekehren<, aber es kommt auf dasselbe hinaus. Mein Volk würde sich nie unterwerfen.«
»Was habt ihr gegen den Shallad?« fragte Mythor. »Im ganzen Shalladad herrscht der Glaube, dass er die Fleisch-werdung des Lichtboten ist. Glaubt ihr nicht an die Macht des Lichtboten?«
»Doch«, sagte Ango fest. »Wir… Aber das würde zu weit gehen. Wir erkennen bloß nicht den Shallad als seinen Vertreter an. Wenn du wüsstest, wie viel Leid Hadamur über die Völker des Shalladad gebracht hat, dann würdest du unsere Abneigung verstehen. Sein Vorgänger Rhiad war lange nicht so grausam, aber auch er konnte mein Volk nicht davon überzeugen, dass er berufen ist.«
»Und was hältst du von der Legende vom Sohn des Kometen?« platzte Sadagar heraus. Mythor stieß ihn versteckt an, doch Ango schien es bemerkt zu haben.
»Sprechen wir über andere, näherliegende Dinge«, sagte der Rafher. »Ich bin erst siebzehn Sommer und noch zu jung, solche Fragen zu erörtern. Es gibt auch wichtigere Probleme, die vor allem dich persönlich betreffen, Mythor.«
Mythor erwiderte den Blick des jungen Rafhers. Er setzte die Schüssel ab und sagte dann: »Du hast erkannt, dass ich von einem Schatten bedroht wurde, Ango. Ich muss mich noch dafür bedanken, dass du mich vor ihm gerettet und ihn vernichtet hast. Weißt du auch, dass dieser Schatten ein Deddeth war?« Als Ango ernst nickte, fragte Mythor: »Woher hast du dieses Wissen?«
»Mein Volk hat sich viel mit Geistern und Dämonen beschäftigt, wie du dir denken kannst«, antwortete Ango. »Dadurch haben wir einen Sinn für Schattenwesen entwickelt, können sie erkennen und ihre Maske durchschauen. Wir kennen auch einige Mittel, sie zu besiegen. Aber am Wadi En-Ogh habe ich keines dieser Mittel anwenden können. Die Sturzflut hat bloß Ganif und den anderen Schattenträger ertränkt. Der Deddeth aber wurde nicht vernichtet, das musst du wissen, Mythor!«
Mythor fröstelte unwillkürlich, als er fragte: »Du meinst, der Deddeth kann mich jederzeit wieder bedrohen? Ist die Gefahr immer noch nicht gebannt?«
Ango schüttelte den Kopf. »Durch Ganifs Tod bist du den Schatten nicht losgeworden, du hast nur einen Aufschub bekommen. Aber der Deddeth kann dir jederzeit in jedem beliebigen anderen Wesen gegenübertreten. Auch in mir. Darum werde ich mein Gesicht spalten – um dich und mich selbst vor ihm zu schützen.«
Mythor beschlich wieder das seltsame Gefühl der Furcht, das er schon einige Male kennengelernt hatte. Es war die Angst vor einem Feind, den er nicht sehen und nicht fassen konnte und den zu bekämpfen ihm die
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