Schattenkampf
schwöre dir, ich habe sie als dein Kriegskamerad aufgesucht. Ich habe ihr alles erzählt: Dass du am Abend vor dem Angriff von ihr gesprochen hast, dass du wusstest, dass sie deinen letzten Brief zerrissen hatte,
und dass du trotzdem noch versuchen wolltest, eure Beziehung zu retten.«
Abgesehen von der Tatsache, dass Tara und Ron jetzt ein Paar waren, wurde Evan etwas noch wesentlich Wichtigeres bewusst. Um auch die letzten Zweifel auszuräumen, fragte er: »Heißt das, sie wusste von meiner Verwundung schon, bevor ich ins Walter Reed kam?«
Nolan nickte. »Jedenfalls eine Woche danach. Sie hat nur gesagt, damit hätte sie von dem Augenblick an gerechnet, als du dich für den Irak-Einsatz gemeldet hast. Als du dann tatsächlich rübergegangen bist, war für sie endgültig Schluss. Deshalb hat sie dir nie geschrieben. Deshalb hat sie auch hier nie mit dir Kontakt aufgenommen. Für sie war der Fall erledigt, Mann. Als ich ihr erzählte, dass ich nach Washington müsste, sagte ich ihr auch, dass ich vorhätte, dich zu besuchen und dir das Ganze aus meiner Sicht zu erklären …«
»Da gibt es nichts zu erklären? Wer würde sie nicht gern haben? Glaubst du, das mache ich dir zum Vorwurf? Ich kannte dich doch kaum, nur die paar Wochen im Irak. Du warst mir gegenüber zu nichts verpflichtet, Ron. Na schön, du hast sie gekriegt. Alles Gute. Wirklich. Und jetzt verschwinde bitte, ja? Hau einfach ab.«
»Ich gehe ja schon. Aber noch ein Letztes. Ich habe sie gefragt, ob ich dir irgendetwas von ihr bestellen soll. Und weißt du, was sie gesagt hat?«
»Keine Ahnung.«
»Ich zitiere, O-Ton: Es tut mir leid, dass er verwundet wurde, und ich hoffe, er kommt wieder auf die Beine. Aber ich habe ihm nichts zu sagen. Er hat es ja nicht anders gewollt.«
Tara brauchte drei Tage, um sich dazu durchzuringen, Evan anzurufen. Doch auch als sie diesen Entschluss endlich gefasst hatte, war sie immer noch unschlüssig, was genau sie ihm sagen sollte. Deshalb notierte sie sich, um nichts zu vergessen, ein paar Punkte: Sie hatte nicht gewusst, dass er verwundet worden war; er hatte ihr gefehlt. Und vor allem - sie schrieb es fünfmal auf - wollte sie ihm sagen, dass es ihr leidtat. Sie wollte ihm sagen, dass sie sich sofort dazu entschlossen hatte, wieder Kontakt mit ihm aufzunehmen, sobald sie herausgefunden hatte, was ihm zugestoßen war. Obwohl es nicht nett von ihr gewesen war, seine Briefe nicht zu beantworten, hoffte sie, er könne ihr verzeihen. Sie hatte sich falsch verhalten, und es tat ihr sehr, sehr, sehr leid. Jetzt musste sie wissen, wo genau sie mit ihm stand, bevor sie die Weichen in ihrem Leben neu stellen konnte. Trotz ihrer weltanschaulichen Differenzen war ihre Beziehung etwas Seltenes und ganz Besonderes. Das wusste er. Sie war sich sicher, dass sie sich beide verändert hatten, seit er in den Irak gegangen war, und möglicherweise würden sie nicht mehr zueinander finden, aber vielleicht könnten sie wenigstens anfangen, wieder miteinander zu reden, und sehen, was dabei herauskam.
Sie saß in dem großen Sessel in ihrem Wohnzimmer und hörte, wie es am anderen Ende der Leitung, fünftausend Kilometer entfernt, anläutete. Ihr Mund war trocken, ihr Herz schlug wie wild. Sie merkte, dass sie den Atem anhielt, und ließ ihn mit einem hörbaren Seufzer entweichen. Gleichzeitig schärfte sie sich ein, wieder zu atmen.
»Hallo.«
»Hallo. Bist du das, Evan?«
»Nein. Hier ist Stephan Ray. Möchten Sie Evan Scholler sprechen? Ich bin sein Therapeut.«
»Ja, bitte, wenn er da ist.«
»Augenblick. Kann ich ihm sagen, wer ihn sprechen möchte?«
»Tara Wheatley.«
Stephan wiederholte ihren Namen vom Hörer fort, und dann hörte sie Evans Stimme, ungewohnt schroff und unnachgiebig. »Tara Wheatley? Mit einer Tara Wheatley will ich nicht reden. Ich habe ihr nichts zu sagen.«
Stephan Ray hielt offensichtlich die Hand auf den Hörer, weil plötzlich alles nur noch gedämpft zu hören war, aber trotzdem war noch deutlich genug zu verstehen, was Evan als Nächstes sagte. Es war so laut, dass es wahrscheinlich bis zum Pentagon zu hören war. »Hast du nicht gehört? Ich habe gesagt, ich will nicht mit Tara Wheatley sprechen. Kapiert? Ich rede nicht mit ihr! Sag ihr, sie soll mich in Ruhe lassen, ich will nichts mehr von ihr hören! Kein Wort!« Als Nächstes hörte sie etwas, was sich anhörte wie ein schwerer Gegenstand, der gegen die Wand oder auf den Boden geworfen wurde. Und wildes Fluchen, Evan war außer sich
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