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Schattenkind: Kriminalroman (Yngvar Stubø-Reihe) (German Edition)

Schattenkind: Kriminalroman (Yngvar Stubø-Reihe) (German Edition)

Titel: Schattenkind: Kriminalroman (Yngvar Stubø-Reihe) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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würde der Akte ein wenig mehr Gewicht geben, im doppelten Sinn. Morgen wollte er die Unterlagen der Rechtsmedizin verlangen. Je nachdem, was darin stand, würde er die Polizeijuristin bitten, weitermachen zu dürfen. Mehr in die Tiefe gehen. Er würde sich nicht von einer hysterischen Mama und einem Papa mit teurem Anzug und Porsche aufhalten lassen. Bei Kindermorden gab es eine große Dunkelziffer, das wusste er, und wenn er einen solchen Fall aufklären könnte, er als unleugbarer Anfänger, würde das ein großer Schritt fort von Geschwindigkeitsüberschreitungen und Fahren ohne Führerschein sein.
    »Sander Mohr«, flüsterte er und trommelte mit der leeren Plastikflasche leicht auf dem Tisch.

3
    Als Inger Johanne am Dienstag, dem 26. Juli, erwachte, fühlte sie sich überraschend ausgeruht. Yngvar war längst aufgebrochen, und sie blieb noch eine Weile liegen und lauschte der ungewohnten Stille. Ihre Mutter war wie abgemacht am Sonntag nach Hause gefahren. Die Kinder würden noch fast zwei Wochen in Frankreich bleiben. Die Leute aus dem Erdgeschoss waren in Urlaub, und Jacks Schnarchen neben ihr im Bett war das Einzige, was die vollkommene Stille störte.
    »Runter«, murmelte sie und versuchte, ihn wegzuschieben.
    Jack drehte sich auf den Rücken und bewegte leicht die Vorderbeine, dann schlief er wieder ein.
    Ein schwacher Geruch nach Druckerschwärze brachte sie dazu, sich aufzusetzen und sich drei Kissen in den Rücken zu stopfen. Yngvar hatte frische Zeitungen auf den Nachttisch gelegt. Daneben standen eine Thermoskanne und ein leerer Becher. Inger Johanne schenkte sich glühend heißen Kaffee ein und machte es sich bequem.
    Irgendetwas war anders als sonst. Etwas an dem Licht, das im Zimmer pulsierte, wenn der Luftzug durch das halb offene Fenster ein wenig mit dem Vorhang spielte. Sie beugte sich zur Seite und schob einen Vorhang weg.
    Sonne.
    Draußen war Sommer. Als Inger Johanne aufstand und die Vorhänge aufriss, überflutete blendendes Licht das Schlafzimmer. Sie faltete die Hände vor der Brust und schaute hinaus. Alles war knallgrün und hell und himmelblau.
    Ihre Brüste schmerzten, als sie sie berührte.
    Ihre Stimmung sank. Noch glaubte sie an die Möglichkeit, dass sie sich irrte. Am Vortag hatte sie sich in eine Apotheke gewagt und einen Schwangerschaftstest gekauft. Sie versuchte, diesen Einkauf als Vervollständigung ihres Medizinschränkchens zu tarnen, und begrub den Test im Einkaufskorb unter Schmerzmitteln, Pflaster, Zahnpasta, Jod und sterilen Kompressen. Zu Hause hatte sie alles eingeräumt, bis auf den Test, der jetzt ungeöffnet unten im Korb für die schmutzige Wäsche lag.
    Yngvar wusste noch immer nichts. In der Nacht zum Sonntag war nichts anderes möglich gewesen, als einfach nur da zu sein. Ihr riesiger Mann hatte sich endlich in den Schlaf geweint, um sich dann am frühen Sonntagmorgen wieder zum Dienst zu begeben. Zum ersten Mal in den elf Jahren, in denen sie sich jetzt kannten, weigerte er sich, ihr etwas über seine Arbeit zu erzählen. Sie hatte nicht einmal direkt gefragt, nur eine halb fragende Bemerkung fallen lassen, bei dem fast stummen Frühstück, das ihnen die Mutter hingestellt hatte, ehe sie in aller Stille ihre Sachen packte und verschwand. Yngvar hatte nur den Kopf geschüttelt.
    Sie wusste es dennoch. Er war ja Vernehmungsexperte.
    Einer der Allerbesten, hatte es früher geheißen.
    Gegen Mitternacht kam er zurück, ruhiger, aber noch immer gequält und stumm. Nachts um drei hatte er sich in der Dunkelheit an sie geschmiegt, ohne etwas zu sagen, hatte sie an sich gedrückt, bis sie keine Luft mehr bekam und sich vorsichtig aus seinen Armen befreite.
    Erst am Montagabend hatte sie ihm von Sander erzählen können. Er hatte zugehört. Hatte zwei Fragen gestellt, mitfühlend den Kopf geschüttelt und sein Besteck hingelegt.
    »Solche Dinge passieren«, sagte er und stand auf. »Unfälle passieren. Kinder sterben.«
    Er wollte nicht die Fernsehnachrichten sehen und keine Zeitung lesen. Er wollte auch nur über Belanglosigkeiten sprechen. Am Sonntagabend hatte er kurz nach den Kindern gefragt. Nachdem Inger Johanne ihm versichert hatte, dass es ihnen an der Riviera gut ging, hatte er sie nicht mehr erwähnt.
    Yngvar hatte sich auf irgendeine Weise ausgeschaltet. Sie erkannte ihn nicht mehr. Ihm zu sagen, dass sie ein Kind erwarteten, war unmöglich.
    Außerdem stand es ja noch gar nicht fest.
    Sie wollte mit dem Schwangerschaftstest noch einige Tage warten.

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