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Schattenkind: Kriminalroman (Yngvar Stubø-Reihe) (German Edition)

Schattenkind: Kriminalroman (Yngvar Stubø-Reihe) (German Edition)

Titel: Schattenkind: Kriminalroman (Yngvar Stubø-Reihe) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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Tage, an denen du vielleicht besser zu Hause geblieben wärst, um dich um Ellen zu kümmern.«
    »Vielleicht, vielleicht, vielleicht.«
    »Jon«, sagte Joachim leise. »Können wir nicht einfach abwarten, ob die Polizei sich überhaupt bei dir meldet? Wir kennen die Einzelheiten jetzt auswendig. Ehe wir wissen, ob das wirklich ein Fall für die Polizei ist, können wir nicht mehr tun. Du bist müde. Du bist traurig. Du steckst mitten in einer Lebenskrise, Mann. Geh nach Hause und schlaf. Iss. Trink. Kümmere dich um Ellen.«
    Jon schaute noch immer auf die Fenster. Kleine Lichtstreifen malten ein Gitter über sein Gesicht. Er schwieg.
    »Es ist fünf Uhr«, sagte Joachim leise. »Es ist Sommer. Der Rest von Norwegen beschäftigt sich mit diesem schrecklichen Kerl, und wir suchen nach Gespenstern, die es wahrscheinlich gar nicht gibt. Wir sind allein hier, Jon. Reicht es für heute nicht?«
    »Du kannst gehen. Ich bleibe hier.«
    »Um was zu tun denn? Ehrlich gesagt, ich glaube nicht ...«
    »Geh. Geh einfach.«
    Joachim stand auf. Als Jon nichts mehr sagte, ging er zum Papierkorb und ließ eine halbe Apfelsine und die Schale hineinfallen.
    »Nimm die mit«, sagte Jon.
    »Was?«
    »Nimm die mit. Das da ist ein Papierkorb, kein Mülleimer. Apfelsinenschalen stinken nach kurzer Zeit.«
    Joachim spürte ein Aufflackern von Zorn, wie eine Stichflamme, doch es war schnell wieder erloschen. Er bückte sich, hob auf, was er soeben weggeworfen hatte, und ging zur Tür. Dort blieb er stehen. Seit dem Samstag hatte er Jon nach Sander fragen wollen. Fragen, was Sander gemeint hatte, wenn er ab und zu mit unerklärlichen blauen Flecken aufgetaucht war. »Nur eine Bagatelle«, hatte er manchmal auf Joachims Fragen geantwortet. Dieser Ausdruck passte nicht zum übrigen Vokabular des Jungen. Nicht zu seinen sonstigen Antworten. In der Regel konnte Sander jede Schramme, jedes Pflaster erklären. Von der Terrasse gefallen. Wollte rückwärts Rad fahren. Hab mich mit Fredrik geprügelt, aber er hat angefangen. Aber dann, ab und zu, auf die Frage nach einem blauen Unterarm, einem geschwollenen Auge, Blutresten in der Nase, wenn Joachim mit ihm ins Kino oder baden gehen wollte:
    Nur eine Bagatelle.
    Joachim starrte auf die Türklinke.
    Einmal hatte er reagiert. Sander hatte bei einem Restaurantbesuch Milch verschüttet. Das Glas war halb leer gewesen, der Kellner hatte gelassen reagiert. Dennoch war Jon aufgesprungen, hatte Sander am Unterarm gepackt und ihn fast vom Stuhl gerissen. Es hatte vielleicht nicht sehr wehgetan, der Junge hatte kaum einen Laut von sich gegeben. Der Vater hatte ihn außerdem losgelassen, sowie Sander neben dem Tisch stand, und war mit ihm zur Toilette gegangen, um die Milch abzuwischen. Dennoch hatte sich etwas in Joachim gesträubt, als er einige Minuten lang allein dort saß. Ein dumpfes Unbehagen, als sei er zum Zeugen einer überaus intimen Szene geworden.
    Jon war ein Freund. Ein guter Freund, der sich darüber gefreut hatte, wie gut Sander und Joachim sich verstanden. Jon war außerdem sein Chef. Joachim hatte das Ganze verdrängt. Obwohl Sander meistens witzig und charmant gewesen war, wenn sie zusammen waren, wusste Joachim doch auch, welche Herausforderung der Junge sein konnte. Ein Kind fest am Arm zu packen war ja nicht gerade ein Übergriff.
    Nur eine Bagatelle.
    Aber jetzt, nach Sanders Tod, drängte es ihn, Jon damit zu konfrontieren. Joachim wollte wissen, was Sander eigentlich gemeint hatte, wenn er mit einem blauen Auge zu Besuch kam und es lächelnd mit »Nur eine Bagatelle« abtat.
    Wenn er nicht alle seine Kraft gebraucht hätte, um sich zusammenzureißen, sich nichts anmerken zu lassen. Dann hätte er gefragt. Jetzt da Sander tot war und behauptet wurde, er sei von einer ganz normalen Trittleiter gefallen.
    Von einer verdammten Trittleiter!
    Wenn es nur möglich gewesen wäre, die Zeit um einige Tage zurückzudrehen. Wenn er nur den letzten seiner vielen idiotischen Fehler hätte ungeschehen machen können.
    Vielleicht war es ja doch nicht zu spät.
    Er öffnete die Tür.
    »Dann mach’s gut, Jon. So gut wie möglich.«
    »Kein Tier ist so gefährlich wie ein überzeugter Polizist«, hörte er Jon murmeln, der ihm noch immer den Rücken zukehrte. »So weit darf es auf keinen Fall kommen.«
    Joachim gab keine Antwort. Die Tür fiel mit einem fast unhörbaren Klicken hinter ihm zu.
    »Sander war also ungefähr wie alle anderen Jungen in seinem Alter«, sagte Henrik Holme und starrte

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