Schattenkind: Kriminalroman (Yngvar Stubø-Reihe) (German Edition)
Mails, Gespräche und Notizen! Ich finde keinen Hinweis, nicht einen verdammten Hinweis ...« Er schlug mit der Faust auf den Tisch. Es war die verletzte Hand, und sein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse, dann fügte er hinzu: »... darauf, dass irgendwas durchgesickert sein kann.«
»Jon«, erwiderte Joachim und seufzte, dann legte er die Apfelsine in eine Obstschale, die vor ihm auf dem Tisch stand. »Das liegt doch in der Natur der Sache: Wenn irgendwer in diesem Büro etwas Illegales gemacht hat, dann gibt es dazu in den Unterlagen keine Auskünfte.«
Jon starrte ihn kurz an, dann rieb er sich mit beiden Händen das Gesicht. Er sagte etwas Unhörbares, ehe er die Hände plötzlich sinken ließ, zu einem Glas Cola griff und es auf einen Zug leerte.
»Wenn die Polizei mir nur sagen könnte, worum es hier geht«, sagte er müde und unterdrückte einen Rülpser.
»Die wissen ja nicht mal, dass du etwas über den Verdacht weißt. Du hast kein Recht, auch nur das Geringste zu erfahren, bis du zur Vernehmung bestellt wirst.«
»Woher weißt du das?«
»Hab ich im Internet nachgesehen. Du hast Rechte, wenn du vernommen wirst. Vorher nicht.«
»Im Internet nachgesehen«, wiederholte Jon verächtlich. »Das macht dich dann wohl zu einem vollgültigen Anwalt, ja?«
Joachim verdrehte die Augen.
»Du machst dir immer Sorgen um ungelegte Eier, Jon. Immer. Dass du von einem alten Schulfreund bei Shatter erfahren hast, dass die Polizei da rumschnüffelt ...«
»Ungelegte Eier?«
Plötzlich beugte Jon sich vor.
»Du findest wohl nicht, dass ich hier und jetzt Sorgen genug habe? Und ohne meine Fähigkeit, nach vorn zu schauen und für alle Eventualitäten zu planen, hättest du ...«
Der Zeigefinger bohrte über dem Schreibtisch ein Loch in die Luft.
»... garantiert keinen Job, wo du dreimal so viel verdienst wie der Durchschnitt in deiner Altersgruppe. Und dann besitzt du noch die Frechheit, das zu wenig zu finden. Ohne meine Bereitschaft, mir um ungelegte Eier Sorgen zu machen, wärt ihr verdammt noch mal alle Mann ohne Job!«
»Sicher. Reg dich ab.«
»Ich soll mich abregen?«
Jon Mohr sprang auf und starrte Joachim an, als ob der ihm einen von Sanders Cocktails angeboten hätte. Die enthielten alles Mögliche, von großen Mengen Tabasco bis zu Katzenexkrementen aus dem Garten, aber sie konnten einladend aussehen.
»Ich soll mich abregen? Das sagst du, den ich mehrmals in Schutz nehmen musste, weil du absolut nicht imstande bist, dich ›abzuregen‹ ...«
Seine Finger malten verärgert Anführungszeichen in die Luft.
»... wenn du es mit Leuten zu tun hast, die in der Hierarchie weit über dir stehen? Du, für den ich bürgen musste, wann immer einer von den wirklich großen Jungs hier im Büro dich in die Wüste schicken wollte? Auch wenn du vielleicht am besten von uns allen voraussehen kannst, was die Medien beschäftigen wird, brauchst du ja wohl nicht ...«
Er konnte nicht mehr. Die Luft entwich pfeifend aus seiner Lunge wie aus einem angestochenen Fahrradschlauch, und er ließ sich im Sessel zurücksinken.
»Tut mir leid«, sagte Joachim. »Ich bin froh, dass du Vertrauen zu mir hast.«
Schweigen breitete sich aus. Joachim nahm sich wieder die Apfelsine. Diesmal schälte er sie, mit einer zusammenhängenden Schalenspirale. Jon sah müde zu, dann drehte er den Sessel wieder dem Sommertag hinter dem Fenster zu.
»Aber bisher wissen wir doch nichts«, sagte Joachim endlich. »Nur, dass die Finanzaufsichtsbehörde angeblich ein paar Fragen stellt wegen zwei verdächtigen Aktienkäufen unmittelbar vor der Fusion von zwei Kunden. Und dass der Fall an die Polizei weitergeleitet worden ist.«
»Und das reicht nicht, findest du?«
Jon griff zu einer Fernbedienung. Die Fenster wurden dunkel, wie durch Zauberhand, bis das Büro in einem angenehmen Dämmerlicht lag.
» Ich habe keinen Insiderhandel betrieben«, sagte Joachim ruhig und kaute auf einem Stück Apfelsine. »Die Polizei kann gern alle meine Unternehmungen und Banktransaktionen durchgehen. Und du hast auch keinen Insiderhandel betrieben.«
Er hob am Ende des Satzes ein wenig die Stimme, als ob er eigentlich eine Frage stellen wollte.
»Natürlich nicht«, sagte Jon verzweifelt. »Sie können auch bei mir so lange suchen, wie sie wollen.«
»Dann haben wir streng genommen kein Problem. Vielleicht hat sich dein Kumpel ja auch geirrt. Vielleicht haben wir vier Tage mit der Suche nach etwas vergeudet, das es gar nicht gibt. Vier
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