Schattenkind: Kriminalroman (Yngvar Stubø-Reihe) (German Edition)

Hammerschlag, und er ließ die Tür hinter sich zufallen und zog die Sonnenbrille vor seine Augen.
    Ein Ball unten, dachte er.
    Das Problem war, dass noch viele in der Luft waren und dass er nicht so recht wissen konnte, aus welcher Richtung sie kommen würden.
    »Hier«, sagte Inger Johanne atemlos und zeigte darauf. »Hier kann man sich so leicht irren.«
    Yngvar Stubø bog von dem steilen Weg ab, als der gerade begann abzuflachen. Sein Hemdrücken war dunkel vor Schweiß, und er atmete schnell und hektisch. Inger Johanne lief die Böschung zur Aussichtsstelle hoch, während Yngvar die Hände zu Hilfe nehmen musste. Endlich waren beide oben.
    »Ich bin in elender Form«, murmelte er. »Ist verdammt steil.«
    »Du bist immerhin oben angekommen«, sagte Inger Johanne lächelnd. »Und du wolltest ja unbedingt diese Tour machen. Sieh dir doch bloß die Aussicht an!«
    Yngvar war überraschend schon gegen zwei Uhr nach Hause gekommen. Er hatte etwas davon gemurmelt, dass er trotz allem Teil eines Teams sei und auch mal frische Luft brauche. Inger Johanne hatte gedacht, er meine das bildlich, aber er hatte auf einem Ausflug in den Wald bestanden. Stumm hatte er Butterbrote, eine Thermoskanne und drei Liter Wasser in einen Rucksack gepackt, ehe er noch zwei Schweinsohren für Jack dazuwarf, dann war er bereit. Im Auto hatte er auch kein Wort gesagt. Inger Johanne ließ ihn in Ruhe. Ein wenig, weil sie begriff, dass es ihm schwerfiel, über Alltäglichkeiten zu reden, wenn er über das, woran er arbeitete, kein Wort sagen konnte oder wollte. Aber vor allem, weil sie ihn hinter dieser Mauer des Schweigens nicht recht erkannte und nicht wusste, was sie sagen sollte.
    Es hatte ihr trotzdem gutgetan, neben ihm durch die Schlucht oberhalb des Movassbekken, wo sie geparkt hatten, hochzusteigen. Er ließ sie seine Hand nehmen. Als sie nach zwei Kilometern vom Waldweg auf unwegsames Terrain abbiegen mussten, ließ sie ihn vor sich hergehen, damit er das Tempo bestimmen könnte.
    Zum Gaupekollen, hatte er erklärt, als sie von zu Hause aufgebrochen waren. Inger Johanne hatte nicht protestiert, obwohl sie bezweifelte, dass er die Strecke schaffen würde. Die war nicht so lang, knapp sechs Kilometer in jeder Richtung, aber steil und anstrengend für einen untrainierten Mann von hundertsiebzehn Kilo. Vor allem, wenn man den Umweg über den Hansakollen machte. Dort lag ein deutsches Flugzeugwrack aus Kriegstagen, das Yngvar noch nie gesehen hatte, und aus irgendeinem Grund bestand er gerade heute darauf, es zu finden. Um auf die Westseite und zurück zu dem schmalen Karrenweg zum Gaupekollen zu gelangen, hatten sie sich die schattige Ostseite hochgekämpft, hatten sich verlaufen und einen unnötig langen Umweg gemacht.
    »Diese Aussicht ist wirklich den ganzen Weg wert«, sagte Yngvar und ging weiter auf dem nackten Fels. »Hier will ich erst mal sitzen bleiben.«
    Er öffnete den Rucksack, warf Jack ein Schweinsohr zu, setzte sich auf einen Felsvorsprung und nahm den Rucksack zwischen die Beine. Er legte eine Sitzunterlage neben sich und tippte kurz darauf, damit Inger Johanne sich ebenfalls setzte.
    »Wie alt ist Jack jetzt?«, fragte er und versuchte, eine Wasserflasche zu öffnen.
    Sein Gesicht glänzte.
    »Elf? Glaube ich. Wird zu Weihnachten wohl zwölf.«
    »Sieben mal elf, plus sieben extra für das erste Jahr«, rechnete Yngvar und hob die Flasche an den Mund.
    »Vierundachtzig«, sagte Inger Johanne.
    Yngvar trank die Flasche halb leer, verschloss sie und schüttelte den Kopf.
    »Der Köter ist vierundachtzig und besser in Form als ich«, sagte er.
    »Er geht ja auch jeden Tag spazieren«, sagte sie lächelnd. »Mit mir. Du könntest ja ab und zu mitkommen.«
    Yngvar gab keine Antwort. Er goss Kaffee in zwei Plastikbecher, reichte ihr den einen und schaute mit zusammengekniffenen Augen nach Süden. Tief unten war Skar zu sehen, der stillgelegte Militärstützpunkt, bei dem offenbar niemand so recht wusste, was jetzt daraus werden sollte. Weiter südlich lag der Maridalsvannet wie ein leuchtender, breiter, stahlgrauer Riss in der grünen Landschaft. Das Grefsenplateau weitete sich dahinter aus und flachte dann weiter im Süden ab, in Richtung Stadt und Fjord, wo selbst die Passagierschiffe aus dieser Entfernung klein wirkten. Auch nach Westen sah man weit in die Ferne, ein blauer Gipfel hinter dem anderen, bis zu einem Berg, den Inger Johanne für den Gaustatoppen hielt. Da saßen sie nun in der Hochsommerhitze, mitten in