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Schattenkind: Kriminalroman (Yngvar Stubø-Reihe) (German Edition)

Schattenkind: Kriminalroman (Yngvar Stubø-Reihe) (German Edition)

Titel: Schattenkind: Kriminalroman (Yngvar Stubø-Reihe) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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konnte ein bisschen ... heftig mit Sander umgehen, findest du nicht?«
    Nun hatte er immerhin Ellens Aufmerksamkeit. Ihre Augen wurden groß und rund. Die winzigen Pupillen in dem grellen Licht, die trockene, gerötete Haut und die Haare, die an diesem Tag sicher noch nicht gebürstet worden waren – kaum etwas an ihr erinnerte noch an die gepflegte, beherrschte Frau, die sie bis vor einer Woche gewesen war. Sie holte tief Luft, und ihr Mund öffnete sich wie zu einem heftigen Widerspruch.
    Aber kein Laut war zu hören. Ihr Gesicht verzog sich.
    »Mein Gott«, murmelte Joachim. »Stimmt etwas nicht mit dir? He, hast du ...«
    Er erhob sich halb.
    »Bist du verrückt?«, schrie sie so laut, dass er vor Schreck zurücksank. »Du, einer von Jons besten Freunden und Kollegen ... wo du seit Jahren unser Hausfreund warst! Und da kommst du her und beschuldigst Jon, unseren Jungen ... misshandelt zu haben!«
    Joachim hob beschwichtigend die Hände und schüttelte energisch den Kopf.
    »Nein, nein, nein! Ich dachte nur, irgendwer könnte Jon dabei gesehen haben, wie er ...«
    Er zögerte, und sie schrie: »Wie er was?«
    Eine feine Speichelwolke flog über den Tisch, und er musste sich zwingen, sich nicht mit der Hand das Gesicht abzuwischen.
    »Jon konnte manchmal mit Sander ein wenig heftig umgehen«, sagte Joachim. »Nur ein wenig. Als wir einmal im Restaurant waren, hat er Sander ziemlich hart am Arm gezogen ...«
    »Am Arm gezogen«, fauchte Ellen mit verächtlichem Blick, lehnte sich zurück und verschränkte die zerkratzten Arme. »Meine Güte. Ja, das nenne ich Misshandlung. Gerade du müsstest doch wissen, dass Sander manchmal einen Stein provozieren konnte, da kann man aus so was doch niemandem einen Vorwurf machen.«
    Er gab keine Antwort. Er überlegte. Er versuchte zu überlegen. Am Dienstagnachmittag hätte er Jon fast nach Sanders vielen Verletzungen gefragt. Er hatte es nicht getan, aus einem Impuls heraus, um die Sache nicht noch komplizierter zu machen. Später, als er versuchte einzuschlafen, war er froh gewesen, dass er der Versuchung nicht nachgegeben hatte. Sander war ohnehin tot, und niemand konnte daran etwas ändern. Außerdem hatte er sich sicher geirrt.
    Jetzt sah die Sache aber ganz anders aus.
    Bei der Vorstellung, dass die Polizei Jon möglicherweise verdächtigte, Sander zu Tode misshandelt zu haben, wurde es Joachim schwindlig, und er musste sich an der Tischkante festhalten. Auf eine wachsende Wut folgte eine gewaltige Erleichterung, und er griff zu seinem Glas und leerte es langsam.
    »Nein«, flüsterte er endlich. »Daraus kann man Jon keinen Vorwurf machen. Da hast du ganz recht. Entschuldige.«
    Er erhob sich und blieb einen Moment mit der Hand auf der Rückenlehne stehen, als wolle er noch etwas sagen.
    Ellen kam ihm zuvor.
    »Wir werden dich in Zukunft wohl nicht mehr oft sehen. Jetzt, wo Sander nicht mehr da ist.«
    Ihr jäher Zorn war ausgebrannt. Die erschöpfte Gestalt schien nur die Kraft zu einer kurzen und heftigen Explosion gehabt zu haben. Wieder war sie matt, fast apathisch, und sie sah ihn nicht an, als er den Stuhl an den Tisch schob und zur Tür ging.
    »Pass auf dich auf«, sagte er.
    Als sie keine Antwort gab, ging er hinaus in die Diele und zog vorsichtig die Tür hinter sich zu. Noch durch die solide Eichentür konnte er die Stuhlbeine schrappen hören, als sie aufstand. Als er an dem großen Möbelstück ankam, das Jon als Sekretär bezeichnete, hörte er aus der Küche Flaschenklirren. Er ging in die Hocke. Mit einer Grimasse wegen des leisen Knackens öffnete er die linke Schranktür. Dort lag das MacBook. Rasch richtete er sich auf und legte den Laptop auf die mit Leder bezogene Schreibplatte, ehe er ihn aufklappte und einschaltete.
    Nichts passierte. Einfach tot.
    Der Apparat roch nach Staub und Salmiak, und die matte Metalloberfläche war dunkel, fast oxidiert. Als er mit dem Finger über die Tastatur strich, wurde der grau und klebrig, und mehrere Tasten ließen sich nicht hinunterdrücken.
    Der Laptop war hinüber, und er brauchte ihn nicht mitzunehmen. Keine Festplatte konnte solche Misshandlungen überleben, wie Ellen sie beschrieben hatte. Sein Problem war gelöst. Auf jeden Fall dieses eine, und als er den Apparat wieder zurückstellte und die Tür schloss, empfand er einen Hauch von Erleichterung.
    In der Küche war wieder alles still.
    Mit raschen Schritten ging er hinaus. Der Sommer traf ihn nach der halbdunklen kühlen Halle wie ein

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