Schattenlord 12 – Lied der sieben Winde
seinem teuflischen Schiff. Annähernd zwei Meter groß, massig-muskulös, mit der wachsbleichen Haut eines Toten und tief liegenden Augen, die so überschattet von den Augenbrauen waren, dass man nur in tiefe Finsternis blickte. Die schwarzen Haare und der Bart fielen bis auf die Brust herab; die Bartsträhnen waren am Ende mit Goldringen zusammengefasst. Wie immer trug er den bodenlangen schwarzen Wachsmantel, die Lederhose steckte in den Stulpenstiefeln, und über dem schwarzen Hemd war ein Wams zugeknöpft, auf dem in Glanzsatin seltsame Muster aufgenäht waren.
Immerhin trug er nicht seinen Hut, also befanden sie sich noch nicht im Krieg.
»Ich bin gar nicht gefesselt?«, fragte Laura anstelle einer Begrüßung. Es gab nur zwei Wege: sich ihm zu Füßen zu werfen und um Gnade zu betteln, was den gleichen Effekt hätte, als wenn sie versucht hätte, aus einem Stein Zitronensaft für die Salatsoße zu pressen. Oder sie bot ihm die Stirn, um sich ein bisschen Würde zu bewahren. Innerlich schlotterte Laura vor Angst, doch sie würde ihr nicht nachgeben. Sie hatte dadurch sowieso nichts mehr zu gewinnen.
»Versuch doch zu fliehen«, erwiderte der finstere Kapitän mit tiefer, hohler Geisterstimme. »Nur zu, spring über die Reling! Einen Sturz aus dieser Höhe überlebt nicht einmal ein flügelloser Elf. Und wenn du an Selbstmord denkst, so lass dir gesagt sein, dass mein Schiff dich nicht aus seinen Fängen lassen wird. Seine Aura fängt dich auf. Es ist noch nicht an der Zeit, deine Seele zu trinken. Die kommt erst ganz zum Schluss dran.«
»Ich denke eher an etwas anderes.«
Die Einrichtung der großzügigen Heckkabine war unverändert und erstaunlich normal; anscheinend im Originalzustand, dem Verfall nicht ausgesetzt. Ein großes, unbenutztes Bett, großer Kartentisch, Sessel davor und wuchtiger Thronstuhl dahinter, ein paar Truhen standen herum, Teppiche waren ausgelegt, Öllampen brannten.
Sie trat an den Tisch heran – und tatsächlich, da stand neben einem Stundenglas die gefüllte Obstschale wie beim letzten Mal. Sie nahm einen Apfel und biss hungrig hinein, ihre Zunge leckte hastig jeden Tropfen Saft auf. »Wenn du noch länger Spaß mit uns haben willst, solltest du auch meine Gefährten versorgen lassen.«
»Die sind nicht halb so verhungert wie du.« Fokke musterte sie geringschätzig. »Auf keinem Sklavenmarkt könnte man mit dir einen Stich machen. Es scheint so, als ob dir der Aufenthalt in diesem Reich allerhand zu schaffen machte.«
»Es hält fit, nur gibt es immer zu wenig zu essen.« Laura ließ sich in einen Sessel fallen.
Immerhin schien Fokke besorgt, dass sie seine Folter nicht lange aushalten konnte, denn er ließ ihr tatsächlich auftischen. Bei dieser Gelegenheit sah sie Aswig wieder, den Schiffsjungen, der einst Sandra und Luca geholfen hatte. Er wirkte ebenfalls abgemagert und noch blasser als früher. Seine blassblauen Augen blitzten auf, als er Laura sah, und sie lächelte ihm ganz kurz zu, wandte dann betont die Aufmerksamkeit von ihm ab. Sie wollte nicht, dass er ihretwegen Ärger bekam.
Sie griff zu; sie musste bei Kräften bleiben. Angst vor Vergiftung brauchte sie nicht zu haben, das war nicht Fokkes Stil.
»Wo ist eigentlich der kleine Goldspender, dieser Schrazel?«, erkundigte sich der Kapitän, während er sich ihr gegenüber niederließ.
Laura richtete den Blick auf sein Wams. Es war ein angenehmerer Anblick als dieses grausame Gesicht, hinter dem nichts als ein bodenloser Abgrund lauerte. Es passte so gar nicht zu diesem vierschrötigen Mann, denn es war aus kostbaren Stoffen gefertigt, zwar schwarz wie alles an ihm, aber es glänzte und schimmerte, und die Satinmuster schienen sich je nach Lichteinfall zu verändern.
Sie mussten eine Bedeutung haben, schoss es Laura durch den Kopf, je länger sie dort hinschaute. Das waren nicht einfach Muster, sondern Zeichen! Aber wofür? Weshalb trug dieser grobschlächtige Mann derart fein Gewirktes – vor allem, wie lange schon? Seine Kleidung sah wie neu aus, weder verschlissen noch verblichen.
Es ist wichtig, dass ich auf jedes Detail achte.
»Nidi geht es gut«, antwortete sie auf seine Frage. »Ich weiß nicht, wo er ist, ich habe ihn einige Tage nicht mehr gesehen. In jedem Fall ist er unerreichbar für dich.«
»In welchen Belangen warst du unterwegs?«
»Gegen Alberich.«
Das schien Fokke zu erfreuen, deswegen hatte Laura auch diese Antwort gegeben.
»Du scheinst keinen Erfolg gehabt zu haben.«
»Vorerst
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