Schattenmenagerie
scheint in meinen Augen mehr als dürftig
zu sein. – Und welchen Grund hätte meine …, ich wollte sagen, die Beschuldigte gehabt,
die anderen Morde, die hier erwähnt wurden, zu begehen?«
Jetzt fand es Kroll an der Zeit,
dem Katz-und-Maus-Spiel ein Ende zu machen: »Ja, wir müssen eingestehen, dass alle
bisher erwähnten Optionen in irgendeiner Weise immer in die Sackgasse führen. –
Aber wir sind in der Runde noch nicht durch.«
»Machen Sie ruhig weiter«, ergriff
die Herzogin das Wort. »Ich persönlich bin auf alles gefasst. – Und Ihre Show ist
ungemein unterhaltsam. Ein rechtes Divertimento am unrechten Ort.«
Doch Kroll ignorierte den sarkastischen
Unterton: »Vielen Dank, gnädige Frau, für Ihre geneigte Aufmerksamkeit. – Es freut
mich, dass Sie sich bisher so gut amüsiert haben. Aber ich denke, jetzt wird’s ernst.
– Machen wir Nägel mit Köpfen!«
*
Inspektor Kroll gab seiner Nichte Micha einen unmerklichen Wink. Die
kramte aus ihrer Handtasche einen honiggelben Gegenstand hervor, der wie die Scherbe
einer alten Glaskaraffe aussah.
»Und das ist unser Nagel! – Gewissermaßen
der Sargnagel für unseren Täter.« Krolls platten Humor fanden die meisten etwas
unangebracht. Aber er beachtete das nicht. »Dieses Bruchstück hier hat uns letztendlich
auf die – wie wir fest überzeugt sind – richtige Spur gebracht. Es ist der Schlüssel,
der es uns ermöglicht, alle drei Morde in einen sinnvollen Zusammenhang zu sehen.
– Und, seien Sie vergewissert, dass ich später zur passenden Zeit noch weitere Beweisstücke
präsentieren werde.«
Er beugte sich über den Rundtisch,
angelte sich die Scherbe und hielt sie in die dämmernde Abendsonne. Das Licht von
draußen war noch so stark, dass der Bernstein geheimnisvoll funkelte. Wie die Nebensonnen
im Halo der Abendsonne, deren Leuchtkraft auf unerklärliche Weise trotz der späten
Stunde zugenommen hatte, als ob sich der Tag ein letztes Mal mit aller Schönheit
aufbäumen wollte.
Das Bernsteinmedaillon und die Sonne
versöhnten sich in warmer, inniger Zwiesprache.
Kroll genoss das Naturschauspiel
eine Weile, dann räusperte er sich.
»Dieser Gegenstand ist gediegener,
alter Bernstein. – Sehr alt. – Ziemlich genau 300 Jahre alt, Bernstein aus der Danziger
Bucht, wie mir ein Hamburger Fachmann versicherte. – Und stellen Sie sich vor, ein
Geschichtsexperte schwor – gewissermaßen Stein auf Bein –, dass es sich um ein Stück
aus dem legendären Bernsteinzimmer handelt.«
Schlagartig war im Saal die miese
Laune verflogen, die die beiden Kriminalisten in Folge ihrer Tatverdächtigungen
geschaffen hatten. Hier schien sich jetzt eine Sensation anzubahnen. War es Kroll
gelungen, das Geheimnis um den verschollenen Zarenschatz zu lüften?
Der Inspektor fuhr unbekümmert mit
seinen Erläuterungen fort: »Genau gesagt handelt es sich hier um ein Medaillon,
das in einem der reich verzierten Pilaster eingearbeitet war.« Er blickte in die
Runde und beschwichtigte die neugierigen Blicke seiner Zuhörer: »Wenn Sie glauben,
ich würde jetzt eine kulturpolitische Sensation enthüllen, muss ich Sie leider enttäuschen.
Ich möchte keineswegs dem Mythos des Bernsteinzimmers eine weitere Variante hinzufügen.
– Dennoch, finde ich, ist dieses unscheinbare Stück Harz schon einer besonderen
Beachtung wert. Nicht nur, weil das eingravierte Motiv so kunstvoll gestaltet wurde.
Meine Experten verglichen historische Fotografien des Schlossraumes und stellten
überraschend fest, dass wir hier ein Stück wiederentdeckt haben, das jahrzehntelang
als verschollen galt. Es handelt sich um einen Brocken, der, und das steht einwandfrei
fest, noch vor der Sowjetzeit aus der Wand herausgebrochen wurde.
Jemand muss sich also noch während
der Zarenzeit an dem Kunstwerk vergriffen haben. – Aber warum? Mit welchem Motiv?
Und zudem unter den strengen Augen des letzten Zaren, zu einer Zeit also, als nur
wenige Eingeweihte Zutritt zum Katharinenpalast hatten.
Um diese Frage zu klären, muss ich
ein wenig in die Geschichte einsteigen und bitte Sie um etwas Geduld.
Alles fing hier an, hier in den
Räumen und Gärten des Eutiner Schlosses. Ihnen wird geläufig sein, dass sich hier
im Jahre 1739 der zukünftige Zar Peter III. und seine zukünftige Gemahlin, die spätere
Zarin Katharina die Große, erstmalig trafen. Die Familien hatten eine politisch
motivierte Heirat vereinbart. Und so kam es dann auch. – Allerdings, was anfangs
wie eine ›Love Story‹
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