Schattennächte: Thriller (German Edition)
die Detectives ständig vernehmen mussten, die machte ihm zu schaffen.
Als er die Ermittlungsabteilung betrat, öffnete sich gerade die Tür zu einem Vernehmungszimmer, und eine zierliche Blondine kam, mit dem Finger fuchtelnd, rückwärts heraus und brüllte jemanden an, der im Zimmer war.
»… und du bist ein echter Drecksack, weißt du das? Sitzt da und prustest los wie ein pubertierender Zwölfjähriger! Was bildest du dir eigentlich ein, du Arschloch? Wenn du das noch mal tust, trete ich dir dermaßen in die Eier, dass dir Hören und Sehen vergeht!«
Mendez starrte sie mit großen Augen an.
Am Gürtel ihrer schmalen schwarzen Hose war eine Dienstmarke befestigt. Das schwarze T-Shirt saß hauteng. Sie hatte ihre aschblonden Haare zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden.
Mit einem lauten Knall schlug sie die Tür zu und bedachte Mendez mit einem scharfen Blick. Sie hatte die grünen Augen einer Katze.
»Tut mir leid, Sir«, sagte sie mit derselben leicht heiseren Stimme, die er am Telefon gehört hatte. »Kann ich Ihnen helfen?«
»Tony Mendez«, sagte er.
Sie besaß so viel Anstand, ein wenig zu erröten – vielleicht waren ihre Wangen aber auch noch vor Zorn gerötet. Schwer zu sagen.
Sie streckte ihm die Hand hin und drückte seine Finger wie ein Schraubstock. »Danni Tanner. Tut mir leid, dass Sie das mit anhören mussten.«
»Interessante Vernehmungsmethode«, bemerkte Mendez. »Scheint ein unangenehmer Zeitgenosse zu sein, da drin.«
Die Tür zum Vernehmungszimmer ging auf, und ein großer Mann in einem zerknitterten Anzug und mit einem dreckigen Grinsen im Gesicht kam heraus.
Tanner funkelte ihn an. »Hör auf, mich so blöd anzugrinsen.«
»Wie wär’s, wenn du endlich mal was gegen PMS nimmst.«
»Ach, fick dich doch und deine Familie gleich mit, Morino.«
»Blödmann«, murmelte sie vor sich hin, als Morino ihr den Mittelfinger zeigte und lässig davonschlenderte.
Tanner verzog angewidert das Gesicht, dann wandte sie sich wieder Mendez zu. »Mein Partner«, sagte sie. »Manchmal frag ich mich, womit ich das verdient habe. Kommen Sie.«
Als sie an ihrem Schreibtisch vorbeigingen, schnappte sie sich den cremefarbenen Wildseidenblazer, der über der Stuhllehne hing. Sie schlüpfte hinein, während sie den Flur hinunter zu einer Abstellkammer gingen, in der sich Pappkartons mit Akten stapelten. Alle waren mit LAWTON , LESLIE beschriftet.
»Sie haben gesagt, Sie bräuchten Hintergrundinformationen«, sagte Tanner und deutete auf die Kartons, als wären sie der Hauptpreis bei einer Tombola. »Hier haben Sie sie. Viel Spaß damit.«
»Wow«, sagte Mendez, »ich dachte, wir könnten uns erst mal unterhalten.«
Tanner musterte ihn von Kopf bis Fuß, dann warf sie einen Blick auf ihre Uhr.
»In Ordnung«, sagte sie und nickte. »Ich such ein paar Akten heraus, und Sie laden mich auf einen Kaffee ein. Wenn Sie dann noch mehr wissen wollen, müssen Sie ein Abendessen springen lassen. Gehen wir.«
4
»Ich hab mal eine Leiche gefunden.«
Leah starrte ihre neue Freundin sprachlos an. Es hatte einen Monat gedauert, bis sie Wendy erzählt hatte, dass ihre Schwester entführt worden war. Sie hatte es sich vorher nicht getraut, weil die Leute sich ihr gegenüber immer so komisch verhielten, sobald sie es wussten. Sie sahen sie mitleidig an und manche sogar misstrauisch, so als würde mit ihr etwas nicht stimmen oder als hätte sie eine ansteckende Krankheit. Aber Wendy hatte nicht einmal mit der Wimper gezuckt, sondern nur gesagt: »Wahnsinn, krass.«
Sie hatten sich im Reitstall kennengelernt. Einer der wenigen Vorteile ihres Umzugs nach Oak Knoll war, dass Leahs Mutter ihr erlaubt hatte, auf der Ranch der Gracidas einen Ferienjob anzunehmen.
Sie kannten Felix und Maria Gracida vom Polo. Felix war ein guter Freund ihres Vaters gewesen und trainierte Poloponys und -spieler. Maria war Trainerin im Dressurreiten und nahm selbst an Wettbewerben teil, daneben führte sie den Reitstall und gab Unterricht. Wendy bekam zweimal in der Woche Reitstunden.
Sie ritten durch die Hügel oberhalb der Ranch, wo die Gracidas kilometerlange Reitwege angelegt hatten. Leah saß auf Jump Up, einer schlanken schwarzbraunen Vollblutstute, die bei den Gracidas untergestellt war. Es gehörte zu Leahs Aufgaben, das Pferd zu bewegen, während der Besitzer in Italien Urlaub machte. Wendy ritt einen ruhigen, kleinen braunen Wallach namens Professor, eines von Maria Gracidas Schulpferden.
Wendy war zwar ein Jahr jünger
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