Schattennächte: Thriller (German Edition)
blicken – ein Umstand, für den Lauren dankbar war.
Während ihr Entführer über kurvenreiche Straßen fuhr, griff Lauren mit der freien Hand in die Tasche, die unter ihr lag. Nacheinander zog sie die Werkzeuge heraus, vorbei an Roland Ballencoas wertvollen Notizbüchern.
Ein Schraubenzieher, ein Teppichmesser, ein Hammer.
Leah lag neben ihr und sah sie an, am ganzen Leib zitternd und mit angstverzerrtem Gesicht. Aus ihren Augen quollen Tränen.
»Das Gleiche hat er mit Leslie gemacht, oder?«, flüsterte sie.
»Wir sind zu zweit«, erwiderte Lauren.
»Die auch.«
Lauren hoffte, dass sie recht hatte, was Greg Hewitt anging, dass die Kugel, die sie ihm verpasst hatte, mehr Schaden angerichtet hatte, als seine Schulter glatt zu durchschlagen. Er fuhr in ihrem BMW hinter dem Kastenwagen her. Sie stellte sich vor, wie er langsam innerlich verblutete.
Sie hatte für die Walther Hohlspitzgeschosse besorgt, Munition, die dafür konzipiert war, größtmögliche Zerstörung anzurichten. Beim Aufprall barst die Spitze und verwandelte sich in eine unheilvolle, rotierende kleine Blüte aus deformiertem Metall, die sich in den Körper des Getroffenen bohrte, Gewebe zerriss, Venen und Arterien, Nerven und Sehnen zerfetzte, von Knochen abprallte und sich in Organe fraß.
Sie hoffte aus tiefstem Herzen, dass die von ihr abgefeuerte Kugel genau das in Greg Hewitts Körper getan hatte.
»Mommy, ich will nicht sterben«, wimmerte Leah.
»Daran darfst du nicht denken«, sagte Lauren. »Du musst jetzt tapfer sein, Leah. Wir müssen nachdenken und kämpfen. Verstehst du?«
Während Lauren das sagte, hatte sie mit ihrer freien Hand das Teppichmesser umklammert. Mit einiger Anstrengung gelang es ihr, sich auf die rechte Seite zu drehen, um an den Bügel zu kommen, an den sie und Leah gefesselt waren.
Sie sah zum Vorhang, der einen Spalt aufklaffte, gerade breit genug, dass sie hin und wieder einen Blick auf Ballencoa erhaschen konnte. Er konzentrierte sich auf die kurvige Straße. Lauren hatte keine Ahnung, wohin er wollte, jedenfalls wand sich die Straße in Serpentinen einen Hügel hinauf.
Er brachte sie in die Berge. An irgendeine abgelegene Stelle. Irgendwohin, wo er und Greg mit ihnen machen konnten, was sie wollten – sie vergewaltigen, sie foltern. Ballencoa würde Fotos machen, ihre Demütigung und ihren Tod in Bildern festhalten.
Wie oft hatte sie sich in den vergangenen vier Jahren vorgestellt, was dieses Ungeheuer Leslie angetan hatte? Tausende Male. Jetzt würde sie es am eigenen Leib erfahren. Auf eine abartige, schreckliche Weise würde ihr Wunsch erfüllt werden. Sie würde die Antwort auf ihre Fragen erhalten. Die Ungewissheit hätte ein Ende.
Andererseits war die Vorstellung, mit ansehen zu müssen, was Ballencoa Leah antat, unerträglich. Sie war bereit, mit ihrem eigenen Leben zu bezahlen, aber nicht mit dem Leahs.
Erneut warf sie einen Blick auf den Vorhang, bevor sie ihre Aufmerksamkeit wieder dem Teppichmesser zuwandte und versuchte, Leahs und ihre Fesseln zu durchschneiden, ohne ihnen dabei die Handgelenke aufzuschlitzen.
Erst gab der eine Kabelbinder nach, dann der andere.
»Nicht bewegen«, warnte sie Leah.
Selbst wenn Hewitt teilweise außer Gefecht gesetzt war, standen sich immer noch zwei Männer und zwei wesentlich schwächere Frauen gegenüber. Sie und Leah mussten das Überraschungsmoment nutzen.
Lauren nahm den Schraubenzieher und gab ihn ihrer Tochter.
»Wenn du die Möglichkeit hast, ihn zu benutzen, dann ziel damit auf den Kopf, auf die Augen«, sagte sie. »Wenn du die Möglichkeit hast wegzulaufen, dann lauf. Hörst du? Mach dir keine Gedanken um mich. Wenn du weglaufen kannst, dann tu das. Versprich mir das.«
Leahs Augen füllten sich erneut mit Tränen. »Aber …«
Lauren sah ihre Tochter fest an. »Versprich es mir.«
Leah nickte.
»Ich hab dich lieb«, flüsterte Lauren, selbst mit den Tränen kämpfend. »Es tut mir so leid, Leah. Es tut mir so furchtbar leid.«
Der Kastenwagen wurde langsamer und holperte ein Stück über unebenen Boden, bevor er schließlich stehen blieb.
Ballencoa stieg aus. Lauren schlug das Herz bis in den Hals. Sie hörte eine zweite Autotür zuschlagen und gleich darauf die Stimmen der beiden Männer, konnte jedoch nicht verstehen, was sie sagten.
Wie hatte sie nur so blind sein können? Warum hatte sie nicht nachgeforscht, wer Greg Hewitt war, als er zu ihr kam?
Weil es sie nicht interessiert hatte. Er war für sie ein Mittel zum Zweck
Weitere Kostenlose Bücher