Schattennächte: Thriller (German Edition)
Fortschritte. Hoffen wir, dass es so weitergeht. In sechs Monaten oder einem Jahr reicht die Probe dann vielleicht für eine Analyse. Im Augenblick wäre jeder Versuch verantwortungslos.«
»Ich schätze mal, Mrs. Lawton ist darüber nicht besonders erfreut«, sagte Mendez.
»Nein, sie will einfach wissen, ob es das Blut ihrer Tochter ist. Ihr wäre es egal, dass die Probe verloren ist, wenn sich bei der Untersuchung herausstellt, dass es nicht das Blut ihrer Tochter ist. Aber uns darf es nicht egal sein«, sagte Tanner. »Was, wenn wir ihn zwar nicht im Fall Lawton festnageln können, aber irgendwann später im Zusammenhang mit einem Verbrechen an einem anderen jungen Mädchen? Wir müssen dafür sorgen, dass die Probe unversehrt bleibt.«
»Und sie damit im Ungewissen lassen.«
»Leider ja. Das hat im Laufe der Jahre seinen Tribut von ihr gefordert. Sie ruft dauernd an«, sagte Tanner. »Erkundigt sich, was wir tun. Ob wir diesem oder jenem Hinweis nachgegangen sind oder den Angaben irgendeiner Wahrsagerin. Warum wir dieses oder jenes nicht tun. Warum wir Ballencoa nicht rund um die Uhr observieren.
Sie will nichts davon hören, dass der Typ Rechte hat, oder dass wir nur über ein begrenztes Budget verfügen, oder dass der Fall ihrer Tochter nicht der Einzige ist, an dem wir arbeiten – oder dass der Fall ihrer Tochter nach vier Jahren auch nicht mehr der wichtigste ist.«
»Für sie ist es der wichtigste Fall«, erwiderte Mendez.
Tanner breitete die Arme aus. »Ich sage ja nicht, dass ich kein Verständnis für sie habe. Klar, sie tut mir leid, das dürfen Sie mir glauben. Aber Sie wissen doch selbst, wie es ist. Beim jetzigen Stand der Dinge wird dieser Fall als ungeklärt zu den Akten gelegt, falls wir nicht die sterblichen Überreste des Mädchens finden und sich daraus irgendwelche Anhaltspunkte ergeben, oder ein Zeuge auftaucht, oder Ballencoa – oder sonst jemand – zu uns kommt und ein Geständnis ablegt. Und dann werden die Akten bis zum Jüngsten Tag im Archiv vor sich hin verrotten.«
Mendez trank einen Schluck von seinem Bier und dachte über das eben Gehörte nach. Kein Wunder, dass Lauren Lawton mit den Nerven am Ende war. Sie ging jeden Tag von Neuem durch die Hölle, ohne die geringste Hoffnung, dass es jemals ein Ende haben würde. Und sie konnte nichts dagegen tun.
»Ich habe Mrs. Lawton heute kennengelernt«, sagte er und beschloss, den Teil der Begegnung auszulassen, bei dem sie mit irrem Blick seinen Einkaufswagen gerammt hatte. »Sie glaubt, dass sie Roland Ballencoa in Oak Knoll gesehen hat.«
Tanner runzelte die Stirn. »Er ist in San Luis Obispo. Egal, was Lauren Lawton über mich sagt, ich behalte ihn im Auge.«
»Wissen die dort im Police Department Bescheid?«
»Klar. Er ist vor knapp zwei Jahren dorthin gezogen. Ich habe es den Kollegen mitgeteilt. Ich wusste nicht, dass Lauren inzwischen in Oak Knoll wohnt, sonst hätte ich euch angerufen und vorgewarnt.«
Die Kellnerin brachte das Essen. Tanner stach auf ihren Krabbenpuffer ein, als wäre er noch lebendig. So wie sie loslegte, konnte man meinen, sie hätte seit einer Woche nichts mehr zu essen bekommen.
»Es überrascht mich, dass sie weggezogen ist«, sagte sie, als sie eine Pause einlegte, um Luft zu holen.
Mendez zuckte mit den Schultern und betrachtete seinen Fisch. »Was hält sie hier? Ihr Mann ist tot. Im Fall ihrer Tochter geht nichts vorwärts. An jeder Ecke wird sie an ihren Verlust erinnert. Warum sollte sie also hierbleiben?«
»Lauren hat sich immer an die Vorstellung geklammert, dass Leslie noch am Leben ist. Sollte man da nicht denken, dass sie in dem Haus bleiben will, in das Leslie zurückkommen würde, falls sie das durch irgendein Wunder könnte?«
»Es ist jetzt vier Jahre her«, hielt ihr Mendez entgegen. »Vielleicht ist sie dabei, sich von dieser Hoffnung zu verabschieden. Sie haben selbst gesagt, dass diese Zeit ihren Tribut von ihr gefordert hat. Außerdem muss sie auch an ihre jüngere Tochter denken. In Oak Knoll könnten sie die schrecklichen Erinnerungen hinter sich lassen und noch einmal ganz von vorn anfangen. Sie kann hier im Haus von Freunden wohnen …«
»Ihr ganzes Leben dreht sich um die Geschichte«, sagte Tanner. »Tag für Tag. In den ersten beiden Jahren kam sie jeden zweiten Tag aufs Revier, damit wir sie nicht vergessen. Danach kam sie immer noch mindestens ein Mal im Monat. Sie hat Presse, Fernsehen und Radio bestürmt, Berichte zu bringen oder Interviews mit ihr zu
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