Seerache
1
Fröstelnd stand der Mann auf dem Außendeck, nicht ahnend, dass sein Tod beschlossene Sache war. Knapp zwanzig Stunden blieben ihm noch, dann würde sein Lebenslicht ausgeblasen.
Zwanzig Stunden. Für den Mann nicht viel mehr als ein Wimpernschlag. Für den Vollstrecker eine Ewigkeit.
Um kurz nach zwölf hatte die Fähre in Meersburg abgelegt, in etwas mehr als einer Viertelstunde würde sie Konstanz erreichen. Ein eisiger Wind fegte über das Außendeck und trieb dem Mann die Tränen in die Augen. Er nahm die Hände aus den Taschen und schlug den Mantelkragen hoch.
Trotz des widrigen Wetters fühlte er sich, als könnte er Bäume ausreißen. Er wusste, falls die Dinge sich weiterhin wie geplant entwickelten, dann hätte er sein Leben lang ausgesorgt. So gesehen bedauerte er keineswegs, das gut geheizte Bordrestaurant verlassen zu haben. Der Lärm und die stickige Luft in dem brechend vollen Raum waren ihm zu viel geworden. Eine Zeit lang hatte er mit dem Gedanken gespielt, das Ende der Überfahrt in seinem Wagen abzuwarten. Doch davon war er schnell wieder abgekommen. Ihn grauste, wenn er an das düstere Fahrzeugdeck dachte, zumal er zwischen den dicht an dicht stehenden Wagen regelmäßig Platzangst bekam. Das schaurige Windgeheul dort unten tat ein Übriges. So war ihm letztlich nur das Außendeck geblieben.
Lange würde er es hier aber auch nicht aushalten. Kaum hatte er den Fuß vor die Tür gesetzt, waren ihm Eiskristalle wie glühende Nadeln ins Gesicht geschlagen; er hatte sich festhalten müssen, um nicht über Bord gefegt zu werden. Und von wegen Aussicht auf die Schweizer Berge! Mit Ach und Krach konnte er das Konstanzer Ufer erkennen. Gemütlich ist anders, dachte er und wollte sich eben wieder in den Schiffsbauch zurückziehen, als sein Handy klingelte. Verstohlen sah er sich nach Mithörern um. Doch die wenigen Fahrgäste, die hier draußen der Witterung trotzten, schienen ausnahmslos mit sich selbst beschäftigt. Mit klammen Fingern fischte er das Gerät aus der Tasche. Als er die Nummer auf dem Display erkannte, hellte sich seine Miene auf. »Wurde aber auch Zeit«, murmelte er erleichtert. Es war Stunden her, dass er um diesen Rückruf gebeten hatte.
Er suchte sich ein einigermaßen windgeschütztes Plätzchen. Dann drückte er die Empfangstaste und nannte seinen Namen.
Das Gespräch dauerte nicht einmal eine Minute; schon nach wenigen Sätzen verabschiedete er sich. »Bis heute Abend also. Und vergessen Sie das Geld nicht – in bar, wenn ich bitten darf. Ach, noch was: Seien Sie pünktlich. Sie wissen ja, wer zu spät kommt …« Er ließ dem Halbsatz ein heiseres Lachen folgen, unterbrach die Verbindung und steckte das Handy wieder in die Tasche. Jetzt war er froh, das altmodische Teil nicht weggeschmissen zu haben, letzte Woche, als er das neue Smartphone erstanden hatte. Dessen Anschaffung hatte ihn zwar eine Stange Geld gekostet, doch dafür hielt es, was der Name versprach. Inzwischen mochte er das Wunderding nicht mehr missen. Dumm nur, dass es seit gestern spurlos verschwunden war. Verlegt? Verloren? Vielleicht sogar gestohlen? Er wusste es nicht. Schon die Vorstellung, es könnte in fremde Hände gelangt sein, verursachte ihm Übelkeit – weniger wegen des materiellen Wertes, der war leicht zu verschmerzen. Nein, weit schwerer traf ihn der Verlust der sensiblen Daten, die er darauf gespeichert hatte. Ungesichert. Die Einrichtung eines Sicherheitscodes hatte er immer wieder auf später verschoben. Sofort nach seiner Rückkehr würde er noch einmal alles danach absuchen. Es müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn sich das verdammte Ding nicht wiederfände!
Während er zum zweiten Mal das Bordrestaurant betrat, überschlugen sich seine Gedanken. Dieser Anruf eben – brauchte es noch mehr Beweise, dass er mit seinen Plänen richtiglag? Erneut hatte er einen dicken Fisch an Land gezogen.
Obwohl … ein bisschen seltsam hatte sich der Anrufer schon benommen. Wie, zum Teufel, sollte er die Frage nach »qualifizierten Referenzen« verstehen, wie die auffallende Neugier, als es um Sicherheiten ging? Und weshalb hatte der Kerl so hämisch gelacht, als er Bares verlangte?
Unwillig wischte er seine Bedenken beiseite. Immerhin war es die dritte Zusage in weniger als einer Stunde gewesen – eine Resonanz, auf die er in seinen kühnsten Träumen nicht zu hoffen gewagt hatte. Fast hatte es den Anschein, als wären die Leute scharf darauf, sich von ihren Kröten zu trennen.
Na ja,
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