Schattennächte: Thriller (German Edition)
und versuchte, das Dröhnen ihres Pulsschlags in ihren Ohren zum Verstummen zu bringen. Wenn jemand da drin war, wollte sie ihn hören. Aber sie hörte nichts außer dem Rauschen des Bluts in ihren Adern.
Ballencoa mochte sonst was in diesem Schuppen aufbewahren. Vielleicht diente er ihm zum Unterstellen von Rasenmäher und Gartengeräten. Vielleicht benutzte er ihn als Dunkelkammer. Vielleicht war er mit Kisten vollgestapelt, in denen ein Mann wie Ballencoa Dinge aufbewahrte, die er nicht wegwerfen wollte.
Kisten mit Souvenirs von seinen Opfern – sie war von Anfang an davon überzeugt gewesen, dass Leslie nicht die Einzige war –, Kisten mit ihrer Kleidung, Kisten mit ihren Knochen.
Er konnte darin ein Mädchen gefangen halten oder eine Leiche verstecken.
Vor ihrem geistigen Auge sah Lauren grauenhafte Bilder von jungen, versklavten Frauen, die mit gefesselten Händen an einem Haken an der Decke hingen. Eine davon war Leslie. In ihren Augen stand blankes Entsetzen, und Lauren wurde es beinahe übel.
Sie klopfte leise an eine der verdunkelten Fensterscheiben und lauschte angestrengt auf ein Geräusch.
Nichts.
Sie klopfte ein bisschen fester und presste ein Ohr an die Scheibe. Sie wartete auf ein Stöhnen, ein Seufzen, einen durch einen Knebel gedämpften Schrei.
Nichts.
Sie probierte, ob sich eines der Fenster öffnen ließ, aber sie waren alle fest verschlossen. Auf der dem Bungalow zugewandten Seite des Schuppens befand sich eine schmale Tür. Auch sie war mit einem Vorhängeschloss gesichert.
Lauren blickte zum Haus, halb rechnete sie damit, dass Ballencoa am Fenster stand und zu ihr herüberstarrte, aber er war nicht zu sehen.
Ein waghalsiger Teil von ihr drängte sie dazu, zum Haus zu gehen und durch das Fenster zu sehen. Sie wollte ihn erschrecken, ihn anstarren, ihm Angst machen. Dieser waghalsige Teil wollte in das Haus hinein, seine Sachen anfassen, in seine Privatsphäre eindringen.
Den anderen Teil versetzte die Vorstellung, von ihm erwischt zu werden, in Panik.
Zur Beruhigung schloss sie die Hand kurz um den Griff der Walther.
Das Geräusch einer zuschlagenden Autotür ganz in der Nähe ließ sie zusammenfahren. Der Himmel begann heller zu werden. Das Viertel erwachte. Mit jeder Minute wuchs das Risiko, ertappt zu werden. Sie musste bald von hier verschwinden.
Nicht weit entfernt begann ein kleiner Hund zu bellen. Die Stimme eines Mannes versuchte, ihn zu beruhigen. Der Hund bellte erneut. Dieses Mal noch näher.
Der kurzbeinige Jack-Russell-Terrier, der um die Ecke des Schuppens gelaufen kam und vor ihr stehen blieb, jagte Lauren einen solchen Schrecken ein, dass ihr Mund trocken wurde und ihre Knie zu zittern begannen. Er warf den Kopf zurück und bellte wie wild.
Scheiße. Scheiße. Scheiße.
Lauren blickte von dem Hund zum Haus und wieder zurück. Wenn Ballencoa von dem Gebell geweckt wurde, würde er aus dem Fenster sehen und sie entdecken. Wenn sie wegrannte, würde der Hund sie verfolgen, und sein Besitzer würde sie für eine Einbrecherin halten, die vom Tatort floh – eine Einbrecherin mit einer nicht gemeldeten Waffe in der Handtasche. Sie würde im Gefängnis landen, während Ballencoa weiter frei herumlief.
»Roscoe! Roscoe!«
Die Stimme das Mannes kam näher. Er versuchte, den Hund zu rufen, ohne dabei zu laut zu werden.
»Roscoe! Verdammt noch mal, hierher!«
Der Hund sprang ein paar Schritte zurück, bellte Lauren noch einmal an und drehte den Kopf dann zögernd in Richtung seines Besitzers.
Lauren blickte erneut zum Haus.
Hinter einem der Fenster auf der Rückseite ging Licht an.
»Roscoe!«
O bitte, bitte, bitte …
Sie schloss die Augen. Als sie sie wieder öffnete, war der Hund weg.
»Dämlicher Köter«, knurrte der Mann und unterstrich seine Worte mit dem lauten Klicken des Karabinerhakens an einer Leine. Er musste kaum zehn Meter von ihr entfernt sein.
Lauren schlüpfte um die Ecke, um außer Sichtweite des Hauses zu gelangen. Plötzlich fühlte sie sich so schwach, dass sie sich einen Moment lang an die Wand lehnen musste, und ihr Herz schlug wie ein Presslufthammer, während sie wartete, bis der Mann mit seinem Hund die Straße hinuntergegangen war. Sie wartete darauf, dass Ballencoa aus seinem Haus kam.
Hatte er aus dem Fenster gesehen? Hatte er sie in dem Moment entdeckt, als sie die Augen schloss?
Sie hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Kalter Schweiß überzog ihre Haut und lief ihr zwischen den Brüsten und den Schulterblättern
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