Schattennächte: Thriller (German Edition)
verwandelt hatte? Ich konnte nicht einmal beweisen, dass überhaupt jemand in meinem Haus gewesen war. Der Polizei war es sowieso gleichgültig. Ich vermisste nichts. Und wie sich herausstellte, verstößt es nicht gegen das Gesetz, anderer Leute Wäsche zu waschen. Damals durfte ich mir einen Vortrag anhören, dass ich der Polizei wertvolle Zeit, Arbeitskraft und Ressourcen stehle.«
»Sie haben nicht einmal mit ihm gesprochen?«
»Nein. Zu der Zeit hatte er schon mit einer Anzeige gedroht – er wollte das Police Department und mich wegen Belästigung anzeigen. Wie finden Sie das? Er verfolgt mich, und dann droht er, mich anzuzeigen, weil ich versuche, mich dagegen zu wehren!«
So viel Ungerechtigkeit machte ihn wütend. Wie Mavis Whitaker gesagt hatte: Manchmal bekam man den Eindruck, dass die Verbrecher mehr Rechte hatten als die Menschen, an denen sie ihre Verbrechen begingen.
»Kennen Sie jemanden in Oak Knoll, den Sie bitten könnten, den Rest der Nacht bei Ihnen zu verbringen?«, fragte er.
»Nein«, sagte sie. »Ich habe eine Walther PPK .«
Sehr beruhigend , dachte Mendez. Und sehr gefährlich .
»Waffen und Alkohol vertragen sich nicht besonders gut«, sagte er vorsichtig. »Ich möchte nicht, dass Sie sich versehentlich selbst verletzen.«
Sie lachte. »Offenbar kennen Sie mich noch nicht. Denn dann würden Sie sich wünschen, dass ich mir den Lauf in den Mund stecke und abdrücke.«
»Das kann ich mir nicht vorstellen, Ma’am.«
Sie hob die Augenbrauen, als wollte sie sagen: Warten Sie’s ab . Dann nahm sie einen weiteren tiefen Schluck aus ihrem Glas.
20
Lauren wartete noch lange, nachdem Mendez gegangen war. Sie setzte sich an den Tisch im Wohnzimmer, trank und betrachtete das Foto von Leslie, das am Abend vor ihrem Verschwinden aufgenommen worden war.
Sie war schön. Leah war hübsch. Leslie war schön. Sie hatte so viel Feuer in sich, es brachte ihre blauen Augen zum Funkeln und zeigte sich im Schimmer ihrer langen dunklen Haare. Es erfüllte sie mit einer unbändigen Energie, die jeder im Raum wahrnahm.
Leslie hätte aus ihrem Leben etwas gemacht.
Manchmal meinte Lauren, diese Energie spüren zu können, wenn sie an ihre Tochter dachte oder ihr Foto betrachtete. Manchmal dachte sie, es wäre ein Zeichen, dass Leslie noch lebte, wo immer sie auch war. Manchmal fürchtete sie, es würde bedeuteten, dass Leslie tot war und ihr Geist sie aufsuchte, um ihr Trost zu spenden. So oder so war es eine Qual.
Mein Gott, warum hat das niemals ein Ende? , fragte sie sich zum millionsten Mal.
Und zum millionsten Mal dachte sie: Weil es keinen Gott gibt, der dem ein Ende machen könnte.
Es hatte eine Zeit gegeben, da hätte sie diese Vorstellung verwirrt und hilflos gemacht. Das Glaubenssystem, auf dessen Fundament ihr Leben ruhte, war plötzlich unter ihr weggebrochen, und jetzt empfand sie nur noch Traurigkeit. Als sie noch nichts von der Grausamkeit dieser Welt gewusst hatte, war das Leben so viel einfacher gewesen. Mit dem Wissen kam die Weisheit – auch als Ernüchterung bekannt.
Immerhin hatte sie fast vierzig Jahre lang in seliger Unwissenheit gelebt. Leah dagegen war fast noch ein Kind gewesen, als die Wahrheit ihr jede Freude geraubt hatte. Lauren wünschte, sie hätte ihrer jüngeren Tochter diese Erfahrung ersparen können. Wenn sie Leah am Tag von Leslies Verschwinden doch irgendwie in ein künstliches Koma hätte versetzen können … oder wenn sie jede Erinnerung an ihre Schwester und an die Hölle, durch die alle gegangen waren, auslöschen könnte …
Aber Leah war genauso ein Opfer wie Lauren, weil Leslie zum Opfer geworden war.
Sie hatte das alles so satt. Opfer war kein Begriff, den sie jemals für sich selbst verwendet hätte. Vielmehr hätte sie erklärt, es entspräche nicht ihrem Wesen, Opfer zu sein, und dennoch war sie es – eine Erkenntnis, die in Anbetracht dessen, warum sie nach Oak Knoll gekommen war, umso bitterer war.
Wie hatte er sie gefunden? Wie hatte er herausgefunden, dass sie hier wohnte?
Wie konnte er es wagen?
Wut stieg in ihr hoch und schnürte ihr die Kehle zu, bis sie fast keine Luft mehr bekam.
Es war fünf nach vier. Die Welt war dunkel und still. Der Wind hatte sich gelegt. Das Universum schien den Atem anzuhalten, als wolle es die schlafenden Bewohner der Erde nicht wecken.
Der Schrecken und die Angst, die ein paar Stunden zuvor von ihr Besitz ergriffen hatten, waren ebenfalls schwächer geworden. Jetzt war Lauren von einer seltsamen Ruhe
Weitere Kostenlose Bücher