Schattennaechte
bereits vergessen, dass sie ihn am Nachmittag geohrfeigt hatte. Vielleicht empfand er ja tatsächlich so etwas wie Freundschaft für sie. Sie erinnerte sich kaum mehr an das Gefühl.
»Aber du bleibst draußen«, sagte sie, trat vom Tor weg und drückte auf den Knopf, um es zu öffnen. »Meine Tochter schläft.«
Er setzte sich auf einen Stuhl auf der Veranda. Lauren ging zurück ins Haus und machte zwei Drinks. Sie überlegte nicht, was sie tat. Ihr Kopf schmerzte ohnehin schon vom vielen Denken. Ihre Seele schmerzte von den permanenten Selbstvorwürfen. Sie sehnte sich nach dem Gefühl der Benommenheit, das der Alkohol mit sich brachte.
Sie fragte Greg Hewitt nicht, ob er überhaupt Lust auf einen Wodka hatte. Es war ihr egal. Schnorrer durften nicht wählerisch sein. Sie trat wieder auf die Veranda, reichte ihm sein Glas und setzte sich.
Sie erinnerte sich an den Tag, an dem sie und Sissy die Möbel auf einem Flohmarkt in Los Olivos gekauft hatten. Sie hatten ihr Glück kaum fassen können – zwei Sitzbänke, zwei Stühle mit hoher Lehne, mehrere kleine Tischchen und Schemel, alles aus wunderbarem Weidengeflecht. Lauren ließ Kissen und Bezüge aus verblichenen alten Quilts und Überwürfen dafür nähen.
»Erstattet er Anzeige?«, fragte Hewitt.
Lauren zuckte mit den Schultern. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich die Staatsanwaltschaft das antun will. Das Urteil der öffentlichen Meinung hat mehr Einfluss auf politische Laufbahnen als die Meinung von Roland Ballencoa. Er wird mich allerdings sicher wegen des Fotoapparats, des Objektives und des entgangenen Einkommens belangen«, sagte sie. »Dann werde ich das Vergnügen haben, ihm Geld dafür zu geben, dass er sein perverses Treiben fortsetzen kann.«
»Keine schöne Vorstellung, aber immer noch besser als Gefängnis.«
»Du hast gesagt, dass du ihm zur Sportanlage gefolgt bist. Was hat er davor gemacht?«
»Nicht viel. Ich fuhr gerade bei ihm vorbei, als er aufbrach. Er hielt ein paarmal an, um irgendwas zu erledigen – an der Tankstelle, in der Drogerie, bei den Postfächern –, dann fuhr er zur Sportanlage.«
Sie fragte sich, ob er in seinen Briefkasten geschaut hatte. Möglicherweise nicht, wenn er ein Postfach gemietet hatte. Wenn sie es sich recht überlegte, kam es ihr seltsam vor, dass im Büro des Sheriffs keiner die Karte erwähnt hatte, die sie an diesem Morgen in Ballencoas Briefkasten gesteckt hatte. Es wäre ein weiterer Beweis dafür, dass sie ihn nicht in Ruhe ließ. Was in diesem Fall tatsächlich zutraf.
Wie gefällt dir der kleine Rollentausch, Arschloch?
»Hast du keinen Auftrag, für den du bezahlt wirst?«, fragte sie.
»Ich hab zwischen zwei Scheidungsfällen gerade Zeit.«
»Und da hast du nichts Besseres zu tun, als bei dieser Irren aufzukreuzen.«
»So was in der Art«, sagte er und nippte an seinem Drink.
Lauren trank ihren Wodka auf ex und seufzte, als der Alkohol ihre verspannten Muskeln zu lösen begann.
Greg Hewitt streckte den Arm aus, nahm ihr Kinn und drehte ihren Kopf, um sich in dem schwachen Licht auf der Veranda die Schürfwunde an ihrem Kinn anzusehen. »Du solltest vielleicht besser zum Arzt gehen.«
Seine Sorge provozierte sie zu einem bitteren Lachen. »Das ist so ziemlich das Letzte meiner Probleme.«
»Du hättest nicht hierherkommen sollen, Lauren«, sagte er. »Das kann zu nichts Gutem führen.«
»Ich muss für Leslie kämpfen«, sagte sie. »Wie das Ganze auch ausgeht, ich muss für meine Tochter kämpfen. Das ist meine Aufgabe. Ich höre nicht auf, ihre Mutter zu sein, nur weil sie nicht da ist oder weil es ungemütlich wird. Wenn nicht ich für sie kämpfe, wer dann?«
»Was willst du denn erreichen, Lauren?«, fragte er. »Willst du sie zurückhaben? Du weißt, dass sie wahrscheinlich tot ist.«
»Ich will Gerechtigkeit«, sagte sie. »Oder Rache. Wie man es nennt, ist mir herzlich egal. Ich möchte wissen, wo meine Tochter ist, und um das zu erfahren, würde ich alles tun. Ich möchte, dass er für das, was er ihr angetan hat, bezahlt – ob das nun heißt, ihn ins Gefängnis oder unter die Erde zu bringen. Ich schätze, an einem dieser beiden Orte werde ich dann auch landen«, sagte sie mit unheilvoller Stimme.
»Und Leah? Sie braucht ihre Mutter.«
»Sie braucht eine Mutter«, sagte Lauren und sprach damit einen Gedanken aus, der ihr schon eine Weile durch den Kopf ging. »Ich bin mir nicht sicher, ob sie ohne mich nicht besser dran wäre.«
Er sparte sich einen Kommentar,
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