Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattennaechte

Schattennaechte

Titel: Schattennaechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tami Hoag
Vom Netzwerk:
vorstellen, wie es ist, so etwas durchzumachen – deine Tochter verschwindet, und du hast keine Ahnung, was passiert ist, du weißt nicht, ob sie noch lebt oder tot ist oder was ihr irgendein Perverser in diesem Moment antut. Da verliert alles andere an Bedeutung. Scheiß auf den Rest der Welt.«
    Sie bestellte sich einen Longdrink. Wodka Tonic mit drei Zitronenscheiben.
    Sie saßen an einem Fenstertisch in einem der besten Restaurants auf der Stearns Wharf. Tanner hatte es ausgesucht. Für ihre Ausdrucksweise erntete sie einen missbilligenden Blick von einer gut gekleideten, älteren Frau am Nebentisch. Sie verdrehte die Augen.
    »Ich wäre genauso oder noch schlimmer«, gestand sie. »Wenn jemand meinem Kind etwas antäte, würde ich es wie eine Löwin verteidigen. Es wäre mir egal, wer mir dabei in die Quere kommt. Wäre ich an ihrer Stelle und würde glauben, was sie glaubt, hätte ich Roland Ballencoa mit bloßen Händen umgebracht. Ich hätte ihm die Zunge herausgerissen und die Eier abgeschnitten, und anschließend hätte ich ihm bei lebendigem Leib das Herz aus der Brust gerissen und es vor seinen Augen verspeist, während er krepiert.«
    »Dann mache ich Sie wohl besser nicht wütend«, sagte Mendez. »Erzählen Sie mir mehr über Ballencoa. Offensichtlich glauben Sie auch, dass er es war.«
    Tanner runzelte die Stirn und spielte mit ihrer Gabel. »Ja, das kann ich mir gut vorstellen. Und alle anderen auch. Aber wir hatten nichts gegen ihn in der Hand. Niemand hat was gesehen. Niemand hat was gehört. Von dem Mädchen fehlt jede Spur.«
    »Hatte er ein Alibi?«
    »Das übliche ›Allein zu Haus‹.«
    »Gab es eine Verbindung zu dem Mädchen?«
    »Er arbeitet als freier Fotograf. Er hatte bei verschiedenen Gelegenheiten, Sportveranstaltungen, Konzerten und so weiter Fotos von der kleinen Lawton gemacht – und von vielen anderen Mädchen in ihrem Alter. Wenn ich ihn nur sehe, überkommt mich ein Waschzwang«, sagte Tanner, »aber für junge Mädchen ist er offenbar so was wie ein existenzialistischer Künstler, und das finden sie anziehend. Teenager sind dumm. Was soll ich dazu sagen?«
    »Hat er die Mädchen mit nach Hause genommen?«, fragte Mendez.
    »Nicht dass ich wüsste. Der Typ ist gerissen. Er ist schon mal mit dem Gesetz in Konflikt geraten und hat aus seinen Fehlern gelernt. Er hat es nie mit der Masche ›Ich kann ein Supermodel aus dir machen‹ probiert. Seine Fotos hat er immer in der Öffentlichkeit gemacht, nie irgendetwas Schlüpfriges. Sein Gewerbe war angemeldet.«
    »Er ist also vorbestraft?«
    »Sexuelle Handlungen mit Minderjährigen. Er war neunzehn Jahre alt, das Mädchen vierzehn. Er hat zwei Jahre bekommen. Fünfzehn Monate davon hat er in der Gegend von Eureka abgesessen.«
    »Wie haben Sie ihn mit Leslie Lawton in Verbindung gebracht?«
    »Ein paar von Leslies Freundinnen erwähnten seinen Namen – diese Befragungen fanden allerdings im Abstand von mehreren Monaten statt. Außerdem fanden wir heraus, dass Leslie ihm ein paar Fotos abgekauft hatte, die er bei einem Tennisturnier von ihr und ihrer Partnerin gemacht hatte. Aber erst viel später erinnerte sich jemand daran, dass sie sich am Tag von Leslies Verschwinden bei einem Softballspiel am Rand des Spielfelds unterhalten hatten. Und dann vergingen noch mal ein paar Monate, bis wir genügend Hinweise gesammelt hatten, um einen Durchsuchungsbeschluss zu erwirken.«
    »Sie haben offenbar nicht genug gefunden, um ihn verhaften zu können«, sagte Mendez. »Haben Sie überhaupt was gefunden?«
    »Als wir den Beschluss endlich bekamen, hatte er längst alles entsorgt, was ihn hätte belasten können. Wir haben seine Wohnung auf den Kopf gestellt. Dabei haben wir Fotos von dem Mädchen entdeckt, aber, mein Gott, der Mann ist Fotograf. Wir haben Fotos von Mädchen und von Jungen, von alten Leuten und von jungen Leuten gefunden. Das hieß also gar nichts. Unter der Matte im Laderaum seines Kastenwagens stießen wir schließlich auf einen winzigen Blutfleck.«
    »Und?«
    »Und nichts. Für einen Labortest ist die Menge zu klein. Vielleicht könnte man die Blutgruppe bestimmen. Vielleicht. Beim derzeitigen Stand der Wissenschaft reicht es nicht für eine DNA -Analyse. Ob bei einer Untersuchung irgendetwas herauskäme, ist nicht sicher, aber die Probe würde zerstört werden. Sie wäre futsch, und wir hätten überhaupt nichts mehr in der Hand. Wir können nur warten«, fuhr sie fort. »Die Genforschung macht von Tag zu Tag

Weitere Kostenlose Bücher