Schattenschwestern - Feehan, C: Schattenschwestern - Conspiracy Game
unseligen Person einen Stoß versetzten, mit grimmigen Mienen und ohne jedes Mitgefühl in den Augen. Ihr Sehvermögen war schon immer phänomenal gewesen. Sie besaß die Fähigkeit, jede Maus zu entdecken, die sich auf dem Waldboden bewegte, und sie konnte mühelos die Furcht der Frauen sehen und fühlen, wenn sie sich enger zusammendrängten und versuchten, nicht von den Soldaten bemerkt zu werden.
Sowie sie die Manege verlassen hatte, rannte Briony ins Bad und erbrach das wenige, was sie heruntergebracht hatte. Sie zog sich eilig um, legte ihr knappes, glitzerndes Kostüm ab und schlüpfte in eine dunkle Jeans und ein dunkles Top. Sie konnte ihre Brüder lachen hören,
als sie aufgeregt zu den Clubs aufbrachen, um sich ein Bild davon zu machen, was das Nachtleben hier zu bieten hatte. Kinshasa stand in dem Ruf, zahlreiche Nachtclubs zu haben, und viele Leute reisten trotz der Unruhen und der gewaltigen Probleme in den entlegeneren Gegenden wegen des Nachtlebens an.
»Ist alles in Ordnung mit dir, Bri?«, rief Tyrel. »Möchtest du, dass ich bei dir bleibe?«
»Nein, natürlich nicht, mir geht es gut«, rief sie zurück. »Habt euren Spaß, aber seht euch vor.«
»Schließ die Türen hinter uns ab«, wies Jebediah sie an.
»Wird gemacht.« Sie dachte gar nicht daran, in einem stickigen geschlossenen Raum zu bleiben. Sie wusste, dass der Kongo in der Nähe war, der breite Strom. Im Regenwald würde es ruhig und still sein, oder zumindest würde sie dort fern von anderen Menschen sein und wieder atmen können, aber sie hütete sich davor, ihren Brüdern zu sagen, dass sie aus dem Haus gehen würde. Sie wären vor Entsetzen außer sich gewesen.
Briony setzte grenzenlose Zuversicht in ihre Fähigkeit, mit der Nacht zu verschmelzen. Sie konnte ganz außergewöhnliche Dinge tun, Dinge, von denen sogar ihre Brüder nichts wussten. Sie hatte eine strenge Ausbildung durchlaufen, von der nur ihre Eltern – und vielleicht Jebediah – etwas wussten. Sie musste es nur schaffen, unentdeckt aus der Stadt herauszukommen und in den Schutz des Regenwalds zu gelangen.
Sie band sich einen Schal um den Hals und setzte einen Hut auf, um ihren blonden Schopf zu verbergen. Sie konnte ihre Hautfarbe verändern, und ihre Brüder fanden das ekelhaft. Es hatte etwa um ihren sechzehnten Geburtstag herum begonnen, direkt nach einem Krankenhausaufenthalt
wegen einer seltsamen Sache, die die Ärzte entdeckt hatten. Sie hatte einige Zeit gebraucht, um herauszufinden, wie sie Einfluss darauf nehmen konnte. Manchmal verfärbte sich ihre Haut, wenn sie außer sich oder wütend war, aber sie konnte es auch mit ihrer Willenskraft erreichen und es nach Belieben einsetzen, um sich ihrer Umgebung anzugleichen, bis sie zu verschwinden schien.
Sie zögerte an der Tür. Sie fürchtete sich vor dem Ansturm heftiger Gefühle. Es war ein Alptraum, durch die Straßen zu laufen, wenn sie genau wusste, dass sie den intensiven Emotionen anderer Menschen ausgesetzt sein würde, aber wenn sie nicht hinausging und einen Zufluchtsort fand, würde sie die nächsten Tage nicht überstehen, und ihre Brüder brauchten sie für ihren Auftritt.
Briony nahm ihre Schultern zurück und trat hinaus. Sie hatte den Stadtplan studiert und wusste genau, wohin sie gehen würde. Sie war auch sicher, dass sie es mit jedem Angreifer aufnehmen oder ihm davonlaufen konnte, und daher schritt sie zielstrebig aus, richtete all ihre Sinneswahrnehmungen auf Anzeichen von möglichem Ärger und lief forsch durch die Straßen zum Fluss und zum Regenwald.
Warum war sie so anders? Warum konnte sie Gedanken lesen und fremde Gefühle erspüren, wenn sie jemanden berührte, und sie wahrnehmen, wenn jemand in ihre Nähe kam? Ihre Eltern hatten, so weit sie zurückdenken konnte, auf einer strengen, beinah militärischen Ausbildung beharrt, die sehr körperbetont gewesen war, doch wenn ihre Mutter sie in den Armen gehalten hatte, hatte sie ein Gemisch aus Furcht und Liebe an ihr wahrgenommen. Hatte ihre Mutter ihre eigenartigen Fähigkeiten gefürchtet? Und wenn ja, warum hatte sie dann darauf bestanden, dass
Briony sie entwickelte, sie aber gleichzeitig geheim hielt? Geheimnisse führten dazu, dass sie sich ihren Brüdern und den anderen Artisten um sie herum fremd fühlte. Geheimnisse und ihre außerordentlichen Fähigkeiten, ihre Andersartigkeit. Sie verabscheute diese Unterschiede.
Auf den Straßen herrschte Gedränge. Überall wimmelte es von Menschen, selbst am späten Abend, und viele
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