Schattenwandler 02. Gideon
während er seiner Tante einen letzten flehenden Blick zuwarf, bevor er kreuz und quer durch die Große Halle ging. Offenbar wollte er seinen Stubenarrest so lange wie möglich hinausschieben.
„Daniel, ich habe schon Schnecken schneller laufen sehen“, schimpfte Hannah, ohne sich umzudrehen. Sie wusste auch so, was ihr Nachwuchs tat.
Hannahs Mutterinstinkt war für Legna etwas ganz Erstaunliches. Und fast noch wundersamer war die unerschöpfliche Geduld ihrer Schwester, vor allem wenn man bedachte, dass Daniel das zweitjüngste von sechs Geschwistern war. Hannah und Legna warteten, bis Daniel die Große Haupttreppe zur Burg ihres Bruders hinaufgegangen war, um seine Li-Li-Ni zu finden, bevor sie sich einen amüsierten Blick zuwarfen.
„Er ist schon ein kleiner Racker, Schwester“, bemerkte Legna mit leisem Lachen, während sie sich wieder dem kleinen Bonsaibaum zuwandte, den sie so geduldig gestutzt hatte. „Ich hoffe, du willst noch ein bisschen warten, bis du deine Brut vergrößerst. Ich glaube nicht, dass ich noch für noch ein Kind von dir die Siddah sein könnte .“
„Das würde ich nie tun, Schwester.“ Hannah lachte. „Ich fürchte, mit Daniel und Eve hast du im kommenden Jahrhundert mehr als genug zu tun. Tröste dich damit, dass sie gut ein Jahr auseinander sind. Außerdem ist Noah ebenfalls ihr Siddah . Du musst sie also nicht allein erziehen. Keiner von euch beiden.“
„Das macht die Sache leichter, vorausgesetzt, ich wohne immer noch unter dem Dach unseres Bruders, wenn es so weit ist und du sie in unsere Obhut gibst.“
Hannah sah ihre Schwester aufmerksam an und legte ihr die Hand auf die Schulter. „Legna, willst du damit sagen, dass du mit dem Gedanken spielst, das Haus deines Bruders zu verlassen? Fühlst du dich hier nicht mehr wohl?“
„Nicht wohl? Noah ist der König, der meist geachtete Dämon und einer der mächtigsten Feuerdämonen unserer Geschichte. Du weißt genau, dass er trotz der Flüchtigkeit seines Elements sehr aufmerksam und liebevoll ist und seine Macht und sein Verantwortungsbewusstsein ihn unglaublich sensibel machen für die Bedürfnisse der anderen in seiner Umgebung. Ich habe viel zu tun hier, als seine Burgherrin und auch als Diplomatin seines Hofes. Unter dem Dach meines Bruders könnte ich niemals unglücklich sein.“
„Na gut, vielleicht nicht gerade unglücklich. Aber vielleich t … sehnsüchtig“, fragte Hannah und berührte sie unter dem Kinn, damit sie ihr in die Augen sah. „Legna, ich bin zwar keine Geistdämonin oder eine große Empathin so wie du, aber ich kenne meine Schwester gut genug, um zu wissen, wenn sie aufgewühlt ist.“
„Du irrst dich wirklich, Hannah“, widersprach Legna. „Mir fehlt es hier an nichts, und ich habe auch nicht den Wunsch, von hier fortzugehen. Aber es dauert noch gut und gerne fünf Jahre, bis Eve so alt ist, dass sie in meine Obhut gegeben wird, und noch länger, bis Daniel an der Reihe ist. Auch in so kurzer Zeit kann eine Menge passieren. Ich habe nur laut nachgedacht. Du brauchst deswegen keinen Wirbel zu machen.“
Der unfeine Laut, den Hannah von sich gab, machte deutlich, was sie von den Behauptungen ihrer kleinen Schwester hielt, aber in dem Moment betrat Noah das Gewächshaus.
„Hannah, ich schwöre dir, wenn du den kleinen Bengel nicht an die Kandare nimmst, dann tu ich es selbst.“
„Noah, bitte, du weißt doch, dass Daniel es nicht böse meint. Er ist halt ein kleiner Junge“, verteidigte die Mutter ihr Kind und machte eine wegwerfende Handbewegung, als wenn sein Verhalten ohne jede Bedeutung sei, wobei sie offenbar vergaß, dass sie gerade eben noch genauso verärgert über ihn gewesen war.
„Hanna h … “, warnte Noah, und der Tadel in seiner Stimme war nicht zu überhören. Doch er wollte auch nicht zu weit gehen, denn als Feuerdämonin war seine Schwester genauso temperamentvoll wie er.
Legna wandte sich um und blickte von einem zum anderen. Wie immer fragte sie sich, welcher von den beiden Dämonen, die mit einem so hitzigen Element verbunden waren, als Erster die Beherrschung verlieren würde, wie es so oft geschah, wenn sie aufeinandertrafen. Zum Glück waren Feuerdämonen eher selten. Gleich zwei davon in der Familie zu haben war allerdings nicht ganz einfach.
Es war oft Legnas Aufgabe als Empathin, zu spüren, wem gerade der sprichwörtliche Kragen platzte, um die Situation schnell genug zu entschärfen. Hannah und Noah liebten einander von Herzen, doch oft war diese Liebe
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