Schattenwandler 05. Noah
bestimmt so bald nicht zurückkommen würde, zwängte sie sich aus ihrem provisorischen Versteck hervor. Sie legte ihre Unterarme auf zwei schmale Rohre, und indem sie diese wie zwei parallele Holmen benutzte, schwang sie die Beine herunter. Sie ließ los, machte einen Überschlag und landete sicher auf dem staubigen Boden des Lagerhauses.
Sie widerstand der Gewohnheit, eine Verbeugung zu machen wie ein Turner, und wischte sich über die schweißbedeckte Stirn, wobei sie Staub und Schmutz von den Rohren darauf verschmierte, und richtete dann ihre Aufmerksamkeit auf ihr Kommunikationssystem und ihren besserwisserischen Partner.
»Danke für die Warnung, James«, sagte sie mit unterdrückter Wut.
»Gern geschehen.« Er versuchte frech zu klingen, doch sie spürte, dass er froh war, ihre Stimme zu hören.
»James, hast du nicht gesagt, dass da niemand auf dem Grundstück ist?«, fauchte sie.
Jim fuhr zusammen, weil ihm augenblicklich klar wurde, dass er wegen dieser Fehlinformation eine Menge Ärger bekommen würde. »Sollte es jedenfalls nicht. Der Typ steht nicht auf dem Dienstplan. Ich sag dir Bescheid, wenn er zum nächsten Gebäude geht.«
»Das reicht nicht. Ich will ihn ganz aus meiner Umgebung raushaben.«
»Wie soll ich das anstellen? Ihn kidnappen?«
»Ich hab eine Idee«, erwiderte sie und kniete sich vor die Turbine, dank derer der Wachmann sie nicht bemerkt hatte. Sie schnallte ihren Rucksack ab und holte ihre letzten beiden rechteckigen Päckchen heraus.
Kestra ließ den Rucksack da und huschte geduckt zum nächsten Gasboiler. Vorsichtig legte sie sich auf den Rücken und griff unter das Gerät. Es gab ein deutlich zu hörendes Geräusch von Metall auf Metall, als der starke Magnet auf der Rückseite des Päckchens an der Unterseite des Boilers haften blieb. Sie legte den Hebel auf der Vorderseite um und wartete, bis die Lichter von Gelb auf Grün umsprangen.
»Der Punkt ist«, fuhr sie fort, während sie unter dem Boiler hervorrollte und sich vorsichtig zum nächsten weiterbewegte, »dass ich extra gesagt habe, keine Zivilisten in der Todeszone. Es war deine Aufgabe, dich darum zu kümmern. Deshalb habe ich einen Monat damit zugebracht, diese Operation genau zu timen.«
»Es ist nicht mein Fehler, wenn der Typ von seinen Gewohnheiten abweicht, Kestra.«
»Mach es zu deinem Fehler, James«, gab sie zurück, während sie neben dem letzten Boiler innehielt. »Übernimm die Verantwortung dafür. Du hast zwanzig Minuten, um ihn aus der Todeszone zu lotsen. Es ist mir egal, wie du das machst, aber mach es! Und wehe, da ist noch jemand.«
»Da ist niemand mehr. Du und der Wachmann seid die einzigen Wärmequellen auf dem gesamten Lagerhausgelände, bis auf ein oder zwei Ratten.« Eine Pause entstand. »Hast du einen Vorschlag, wie ich den Zivilisten schützen kann, ohne verhaftet zu werden?«
Kestra dachte einen Moment lang darüber nach, während sie das letzte Gerät am hintersten Boiler anbrachte.
»Wie lange braucht er normalerweise, um das Grundstück abzugehen, wenn er bei den Docks anfängt?«
»Auf dem Grundstück gibt es drei Gebäude. Deins ist das erste. Wenn er nach Vorschrift vorgeht, dauert es noch eine gute Stunde. Und wenn er an den Docks entlanggeht, wird er dich bemerken. Es ist mir egal, wie gewieft du bist, Kes, er sollte dir jedenfalls auf der Flucht nicht in die Quere kommen.«
»Verdammt.« Kestra glitt unter dem Boiler hervor und stand auf. Sie klopfte sich den Hintern fester ab, als nötig gewesen wäre, und ging zu ihrem Rucksack.
Dann blieb sie stehen, legte den Kopf schräg, und ihre unglaublich hellen Augen strahlten noch ein bisschen heller, als sie glaubte, eine Lösung gefunden zu haben.
»Oh, James?«
»Ja, Kes?«
»Gibt es in einem der Gebäude gegenüber dem Grundstück ein Alarmsystem?«
»In allen. Du kannst es dir aussuchen.«
»Und gehören sie zum Zuständigkeitsbereich unseres unterbezahlten Wachmanns?«
»Warum, ja, tun sie!« Jim stöhnte übertrieben auf, weil er wusste, dass sie ihren Plan bereits fertig hatte.
»Na ja, halt mich für verrückt, aber wenn du ein Wachmann wärst und in einem der Gebäude der Alarm anginge, dann würdest du doch hinrennen und schauen, was los ist, oder?«
»Du bist wirklich verrückt«, sagte Jim mit einem Grinsen. »Und du hast natürlich recht. Aber wie willst du einen Alarm auslösen, ohne erwischt zu werden? Machen wir das normalerweise nicht genau andersherum? Weißt du überhaupt, wie man einen Alarm
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