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Schatzfinder

Schatzfinder

Titel: Schatzfinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Scherer
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zwitschert und summt es.
    Viele Hamburger gehen hier spazieren und besuchen den Schmetterlingsgarten oder den Naturlehrpfad oder den Rosengarten. Menschen unterhalten sich ungezwungen, lachen und freuen sich, dass sie am Leben sind, während auf den verschiedenen Grabfeldern, die über den Park verstreut sind, die sterblichen Überreste verstorbener Hamburger unter der Erde in den Kreislauf der Natur zurückkehren.
    Wenn die Parkgäste in die Nähe einer Bestattungsfeier kommen, wo Menschen in dunklen Gewändern mit gesenkten Köpfen und Tränen in den Augen zusammenstehen und Abschied nehmen, verstummen sie respektvoll. Hier joggt auch niemand. Die Blicke gehen nach unten, und die meisten Menschen denken kurz an die eigenen verstorbenen Angehörigen oder daran, dass sie selbst einmal sterben müssen.
    Da drüben im Ruhewald, wo die Urnen am Fuße der Bäume vergraben werden, war an diesem Tag allerdings eine Versammlung, die überhaupt keinen dämpfenden Effekt auf die Parkgäste hatte. Im Gegenteil, sie machte neugierig: Da standen eine MengeMenschen in bunten Kleidern herum, die Frauen und Mädchen trugen fröhliche Blumenkleider. Sie lachten und scherzten. Ein paar Männer schlugen sich auf die Schenkel und lachten lauthals, als hätten sie sich einen Witz erzählt.
    Eine alte Frau stand inmitten der Feier und leuchtete förmlich, sie strahlte, als alle Männer ein Schnapsglas in der Hand hielten und sich zuprosteten: Sie stießen an auf den Verstorbenen, den Mann, mit dem die alte Frau 63 Jahre lang glücklich verheiratet gewesen war, der nun im Alter von 88 Jahren nach einem erfüllten Leben gestorben war, der Mann, den viele »Schiri-Karl« gerufen hatten.
    Die Trauerfeier konnte nur fröhlich werden, denn Karl selbst hatte den Ton dafür gesetzt. In der von ihm selbst formulierten Traueranzeige im
Hamburger Abendblatt
stand: »Ich bin umgezogen. Neue Adresse: Friedhof Ohlsdorf, Ruhewald Bx 65/28 C. Über regen Besuch freue ich mich.«
    Er war schon immer ein Spaßvogel gewesen. Seine Augen lachten immer, und wenn man ein Bild von ihm betrachtet, kann man sich gut vorstellen, wie viel Spaß es ihm gemacht hat, sich diesen letzten Scherz zu erlauben. Seine Traueranzeige und die daraus sprechende Haltung zum eigenen Tod waren so ungewöhnlich, dass die ganze Geschichte sogar der
Bild
-Zeitung eine Meldung wert war – daher kenne ich sie überhaupt.
    Wenn eine fröhliche Bestattung eines fröhlichen Menschen so ungewöhnlich ist, dass sogar Deutschlands größte Zeitung darüber berichtet, was sagt das über alle anderen Bestattungen? Schiri-Karl war rein äußerlich betrachtet ein ganz gewöhnlicher Zeitgenosse. Als Versicherungskaufmann war er auf redliche Weise sehr erfolgreich gewesen. So konnte er sich mit seiner großen Familie ein Einfamilienhaus mit Garten im schönen Stadtteil Wellingsbüttel leisten, nur 200 Meter Luftlinie vom Ruhewald entfernt. Sechs Kinder hatte er zusammen mit seiner geliebten Frau Anastasia. Und sein großes Hobby war der Fußball. Als Schiedsrichter für den Hamburger Fußballverband wieselte er über die Sportplätze der Region und hatte größte Freude daran, 22 Mann nach seiner Pfeife tanzen zu lassen. Er war bestimmt einguter Schiedsrichter, der sich selbst und das Spiel nicht zu ernst nahm und strittige Entscheidungen mit einem coolen Spruch garnierte, damit sich die Gemüter nicht zu sehr erhitzten. »Er war ein Witzbold, er hat immer so gern gelacht«, sagte seine Witwe.
    Zuletzt, kurz vor seinem Tod, flüsterte er seiner Frau zu: »Ich danke dir für alles.«
    Ganz offensichtlich beherrschte Schiri-Karl die Lebenskunst der Präsenz bis ganz zum Schluss – sogar über seinen Tod hinaus. Wenn für gewöhnlich die Menschen an ihrem Hochzeitstag den schönsten Tag ihres Lebens haben, an dem die Braut Weiß trägt und alle Gäste fröhlich sein sollten, und am Todestag den schlimmsten Tag ihres Lebens, an dem jeder Schwarz tragen und weinen sollte, dann ist die Lebenskurve zwischen diesen beiden Punkten ein permanenter Abstieg, eine Kurve, die am Nullpunkt endet. Schiri-Karls Leben stelle ich mir anders vor. Nach den wenigen Informationen, die ich über seine Trauerfeier, die ja wohl mehr eine »Lebens-Feier« war, bekommen habe, stelle ich mir sein Leben so vor, wie ich es für eigentlich richtig halte: als eine Abfolge von Späßen. Eine Abfolge von gefundenen Schätzen. Und da die Lebenskurve am Ende nicht auf null sinkt, sehe ich sie vor meinem inneren Auge länger, viel

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