Schaut nicht weg
Kinderpornografie im Internet anzugehen, keinen Schritt vorangekommen; das neue Gesetz zur Sperrung kinderpornografischer Seiten, obwohl verfassungsrechtlich abgesegnet, wird nicht umgesetzt werden und ein neuer Gesetzesentwurf ist nicht in Aussicht. Mich macht das mehr als sprachlos. Bis heute habe ich nicht verstanden, dass unsere Informationsfreiheit dahin gehen muss, dass wir Straftaten gegen Kinder im Internet dulden. Für mich beinhaltet Zensur die Weiterleitung bestimmter strittiger Inhalte an eine staatliche Behörde zur Prüfung und Sperrung – und dagegen muss natürlich in einer Demokratie vorgegangen werden. Doch das Sperren einzelner Seiten, die einen Straftatbestand beinhalten – ist das auch schon Zensur? Es kann nicht sein, das wir in Deutschland über Gesetze verfügen, die unser allgemeines Leben regeln sollen, und dass diese Gesetze dann aber nicht fürs Internet anwendbar sind. Das Internet wird behandelt wie eine rechtsfreie Zone – de facto ist es das aber natürlich nicht!
Gleichermaßen inakzeptabel sind die deutschen Verjährungsvorschriften für sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen. Das Gesetz bestimmt, dass diese Straftaten bereits zehn Jahre nach Erlangung des 18. Geburtstags des Opfers verjähren. Nur in besonders schweren Fällenverjährt die Straftat nach 20 Jahren. Wie lange die Strafverfolgungsbehörden den Täter belangen dürfen, hängt daher vom Alter des Opfers ab. Wird ein Kind bereits als Baby schwer missbraucht, beginnt die 20-jährige Verjährungsfrist nach 18 Jahren an zu laufen. Der Täter kann folglich 38 Jahre belangt werden. Anders liegen die Dinge im Fall eines 14-jährigen Kindes, das von seinen Betreuern belästigt wird: Bis zum 18. Geburtstag vergehen in diesem Fall gerade einmal vier Jahre, und auch die reguläre Verjährungsfrist ist nur halb so lang wie in Fällen schweren Missbrauchs – das Opfer müsste also bis zu seinem 28. Geburtstag Anzeige erstatten. Tut es dies nicht, haben die Behörden bereits 14 Jahre nach der Tat keine Handhabe mehr. Das ist ein verheerendes Zeichen für die Opfer sexuellen Missbrauchs in Deutschland. Denn die meisten Betroffenen haben ja erst viel später den Mut, sich diesen schrecklichen Erlebnissen zu stellen – das ist aktuell bei den vielen Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche zu beobachten. Und auch ich bekomme in meiner Funktion als Präsidentin von Innocence in Danger e.V. häufig Briefe von alten Menschen, die sich mir zum Ende ihres Lebens anvertrauen und sagen, sie konnten ihr Leben lang nicht darüber sprechen. Menschen leben nach solchen Erfahrungen meist in Scham und geben sich bis zum bitteren Ende die Schuld für diese Ereignisse. Und selbst wenn die Täter innerhalb des vorgesehenen Zeitraums belangt werden sollten, dann wandern sie nur selten für längere Zeit ins Gefängnis: Steuerhinterzieher müssen in unserem Land oft mehr Zeit absitzen als pädokriminelle Täter. Was für eine Ungerechtigkeit den Opfern gegenüber! Die Rechtsprechung hierzulande lässt also noch viel zu wünschen übrig. Doch wir können es nicht länger hinnehmen, dass unsere Kinder davor nicht geschützt werden! Deshalb rufe ich alle Leser und Leserinnen auf, mit mir an einemStrang zu ziehen. Wenn wir es schaffen, immer mehr Menschen für den Kampf gegen sexuellen Missbrauch im Internet zu mobilisieren, kann sich viel verändern – dann müssen auch die Politiker reagieren! Das muss unser Ziel sein. Denn die größte Macht, Dinge zu verändern und entsprechende Gesetzesentwürfe vorzulegen, hat am Ende doch der Staat.
Auf den folgenden Seiten möchte ich nun beleuchten, wie und wo sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in unserer Gesellschaft stattfindet. Ich möchte zeigen, wer die Täter sind, welche Strategien sie anwenden und wie wir die Opfer schützen können. Ich möchte Hilfestellung bei der Aufdeckung der Taten geben und neue Therapieansätze für betroffene Kinder und auch längst erwachsene Opfer vorstellen. Außerdem werde ich demonstrieren, welche Gefahren das Internet als scheinbar anonymer und rechtsfreier Raum für Kinder und Jugendliche bereithält: Denn immer wieder werden Jugendliche im Netz »angemacht« und via Chat, Webcam oder Handy zu Opfern sexueller Gewalt oder Ausbeutung. Auch das erschreckende Ausmaß von Kinderpornografie im Internet will ich näher beleuchten, um zu zeigen, welches Geschäft mittlerweile dahintersteckt. Und nicht zuletzt unsere Gesellschaft möchte ich
Weitere Kostenlose Bücher