Scherbenhaufen
der Bedienung. Bis diese reagiert, rezitiert sie: »Käse muss die Zunge wecken, soll danach der Wein mir schmecken.«
Der Garçon quittiert unsicher: »Ähm, soll ich Ihnen ein Chäsplättli bringen, Madame?«
Meine fidele Tischgenossin nickt schmunzelnd. Als der Kellner das Gewünschte serviert, reicht sie ihm das dritte Glas mit der Einladung, mit uns anzustoßen. Schwer zu beurteilen, ob sie damit ihn oder mich mehr überrascht hat.
Der Kellner stellt das Glas zurück, nachdem er höflichkeitshalber daran genippt hat und verabschiedet sich mit kaum vernehmbarem »Merci«.
Gelassen wendet sich Eleonore Günther an mich und meint: »Hanspeter, was ich dich schon lange mal fragen wollte …«
Diese Einleitung weckt meine Neugierde.
Statt diese zu stillen, lächelt Eleonore geheimnisvoll.
»Sag’ schon!« dränge ich. »Oder muss ich raten?«
Sie hebt das Glas an ihre Lippen, als erübrigte diese Geste weitere Ausführungen. Dann aber stellt sie es zurück, ohne getrunken zu haben. Nach kurzem Sinnieren fragt sie: »Was ist nun mit unserem Urlaub?«
Meine weinselige Laune gerät ins Wanken. Ich schütze erneut Überlastung vor, mache mein Versprechen geltend, mit Stefan Lüthi demnächst nach Rust in den Europapark zu fahren und zementiere den Vorsatz, baldmöglichst den Fahrausweis für Personenwagen nachzuholen.
Am Ende des Rattenschwanzes ausgemachter Ausreden kommentiert Eleonore Günther trocken: »Ich kenne das inzwischen zur Genüge, Hanspeter. Als Entschuldigung dafür, dass du keinen Termin findest, zählst du auf, wofür du dir tatsächlich Zeit nimmst.«
30
Lange her, seit ich mir zum letzten Mal ein Gläschen tunesischen Rebensaft gegönnt habe. Nicht dass ich freiwillig auf meinen Lieblingswein verzichtet hätte. Ich habe den Syrah Mornac nirgendwo mehr auftreiben können. Vergeblich habe ich mich im lokalen Fachhandel und im Internet nach der unverwechselbaren Keulenflasche aus dunkelbraunem Glas umgesehen. Der kräftige Tropfen fehlt in allen Regalen. Liefert die Villa Kassàr den Grand Cru nach dem Minarettverbot nicht mehr in die Schweiz?
Jemand schlägt mit der Faust mehrmals gegen die Bürotür. Sie ist unverschlossen. Mit halb offenem Mund stürzt ein Mann in Arbeiterkleidung herein. Es ist Robert Weihermann.
»Herr Feller, Sie müssen mir weiterhelfen«, fleht er verzweifelt.
Überrumpelt erhebe ich mich und reiche zögerlich die Hand.
»Niklaus kommt nicht frei!«, klagt der Töpfermeister.
»Das ist mir bekannt. Ihr Sohn befindet sich in Untersuchungshaft«, bestätige ich ruhig.
»Niklaus ist unschuldig«, behauptet Robert Weihermann trotzig und schiebt nach: »Hauptmann Geissbühler weiß das auch.«
»Was?«, erkundige ich mich, vom überfallartigen Besuch noch immer irritiert.
»Dass mein Sohn den Füssli nicht zu Fall gebracht hat.«
Ich zweifle.
Vater Weihermann klaubt umständlich ein Schnupftuch aus der Hose und wischt sich die Stirn. Darauf faltet er mit unsicherer Hand den karierten Lappen zusammen und lässt ihn wieder verschwinden.
»Könnte es sein, dass Niklaus bereits ein Geständnis abgelegt hat?«, forsche ich nach.
Völlig stober und ungläubig glotzt mich der Alte an. »Er? Ein Geständnis? Davon weiß ich nichts.«
Ich insistiere.
Da entfährt Robert Weihermann ein rohes Lachen. Er schüttelt die schüttere Haartracht und meint höhnisch: »Mir macht keiner was vor, Herr Feller. Ich kann Ihnen nämlich genau sagen, wer sich seit gestern der Tat bezichtigt: Ich selbst bin es!«
Ich zweifle und erkundige mich: »Tatsächlich?«
»Jawohl! Ich habe Adam Füssli versenkt.«
»Wenn Sie ein Geständnis abgelegt haben und trotzdem frei herumlaufen, wird es Ihnen die Polizei kaum abgenommen haben.«
»Das ist ja das Problem. Hauptmann Geissbühler meint, ich beabsichtige die Freiheit meines Sohnes zu erschwindeln. Aber dem ist nicht so.« Er blickt zur Wand und behauptet: »Ich habe den Richter gerichtet!«
Ich quittiere mit einem schlichten »Aha.«
»Adam Füssli hat es verdient, nach allem, was er angerichtet hat. Jetzt zähle ich auf Ihre Unterstützung, Herr Feller. Überzeugen Sie Hauptmann Geissbühler von meiner Schuld. Befreien Sie Niklaus!«
Mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand zwirble ich ein Härchen der rechten Augenbraue und verkünde meinem Klienten: »Herr Weihermann, warum nimmt Ihnen Hauptmann Geissbühler Ihre Geschichte nicht ab?«
Robert Weihermann schnaubt wie ein zorniger Ochse. »Was wollen Sie von mir
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