Scherbenhaufen
die Luft geschleudert, um ihren Lieben vor Schlimmerem zu bewahren. Diese artistische Einlage entfesselt seitens der Schülerschaft frenetischen Applaus.
Dann trifft das ein, was ich vom Beginn weg zu verhindern gehofft habe: Die Verfolgten erreichen unbehelligt den Bahnhofplatz, überqueren ohne Rücksicht auf den rollenden Verkehr die Fahrbahn, schlängeln sich zwischen den wartenden Taxis hindurch und tauchen im Gewimmel der Perron-Unterführung unter.
Ich suche es den beiden gleichzutun, missachte den Vortritt der Fußgänger und die Vorfahrt der Automobilisten. Ein gelber Gelenkbus der städtischen Betriebe stoppt jedoch meine Weiterfahrt und beendet die Verfolgungsjagd vorzeitig.
Heftig keuchend und schwer enttäuscht, beabsichtige ich, Hauptmann Geissbühler zu alarmieren. Bei dieser Gelegenheit muss ich feststellen, dass ich die Tasche, der ich mein Mobiltelefon zu entnehme trachte, gar nicht mehr bei mir trage. Mist! Wo habe ich sie verloren?
Ich pedale suchend zum Seeclub zurück, ohne auf die Ledertasche zu stoßen. Wenn mein Zeug in der Zwischenzeit nur nicht geklaut wurde!
Ich lehne das Fahrrad an den Baumstamm, von wo es kurz zuvor entwendet wurde, und hoffe, im Bootshaus fündig zu werden. Diese Hoffnung stirbt zuerst. Die rot-weiß kassettierten Tore des Clubhauses sind inzwischen verschlossen worden.
Hilfe suchend sperbere ich um mich. Auf dem dunkelgrünen Kanal rudert ein älterer Mann mit Sonnenbrille und grauer Strickmütze. Ich warte, bis er angelegt hat und sich mit den Skulls auf die Holzbohlen stützt. Der bärtige Wassersportler trägt kurze, schwarze Hosen, ein weißes T-Shirt und eine graue, ärmellose Faserpelzweste.
Ich trete zu ihm auf den Steg. »Entschuldigung. Sind Sie zufälligerweise Mitglied im Seeclub?«
Anstelle einer Antwort erwidert er: »Hanspudi, wir kennen uns doch!« und lächelt schelmisch.
Tatsächlich. Im nadelschlanken Skiff sitzt Gerd Schaller, ein alter Bekannter. Ich habe ihn in seinem sportlichen Outfit nicht sogleich wiedererkannt. Erfreut reiche ich dem ehrenamtlichen Kassier der Kunstgesellschaft die Hand. Er aber ergreift sie nicht. Warum das?
»Bei solchen Booten braucht es wenig, dass man kentert. Die sind ziemlich unstabil«, entschuldigt er seine Verweigerung und fügt versöhnlich hinzu: »Es soll’ gelten. Was führt dich an die Aare?«
Ich erkläre Gerd Schaller mein Anliegen. Darauf turnt er aus dem Boot und zerrt es ans Trockene. Er kennt das Versteck der Schlüssel, öffnet das Clubhaus und hilft mir bei der Suche nach dem vermissten Gepäck. Gemeinsam finden wir es bereits nach wenigen Minuten.
»Würdest du mir einen weiteren Gefallen erweisen?«, wage ich Gerd zu bitten.
Er mustert mich erwartungsvoll und nickt.
»Wird von den Mitgliedern zufälligerweise ein Fahrtenbuch geführt?«
»Klarer Fall, kein Zufall. Es liegt im ersten Stock. Warum interessierst du dich dafür?«
Ich zögere. »Es geht mir in erster Linie um die Ausleihen vom letzten Mittwoch. Würdest du mich einen kurzen Blick hineinwerfen lassen?«
»Kein Problem. Folge mir!« Er zieht seine Strickmütze vom Kopf, geht voran und stapft die knarrende Holztreppe hoch. Oben liegt ein offenes Ringbuch auf einem Ecktisch. Daneben steht eine verschlossene Kartonschachtel mit dem Aufdruck eines bekannten Computerherstellers.
»Letzte Gelegenheit, handschriftliche Einträge zu tätigen«, kommentiert Gerd Schaller stolz. »Ab nächster Woche führen wir das Fahrtenbuch digital.«
»Ausnahmsweise scheine ich mal Schwein zu haben«, stelle ich fest.
»Dasselbe meinte gestern auch der Polizist, nachdem er die Listen fotografiert hatte.«
»Aha?«, bemerke ich interessiert und schiebe Gerd zur Seite. »Lass mich mal sehen! Volià! An jenem Mittwoch wurden zwei Skiff und ein Dreier benutzt. Hier, diese Unterschriften sind die Beweise!«
»Wovon redest du?«, wundert sich Gerd Schaller.
»Weihermann und Füssli fuhren zur selben Zeit auf dem Wasser.«
»Was soll das beweisen? Adam und Robert trainieren mehr oder weniger regelmäßig. Manchmal sogar gleichzeitig. Selten gemeinsam.«
Ich horche auf. »Robert? Willst du damit sagen, dass es die Unterschrift des Vaters ist?«
»Selbstverständlich. Nur Robert Weihermann ist bei uns als Mitglied eingetragen«, erklärt Gerd Schaller.
28
Bevor das Liebespaar die Schweiz Richtung Italien verlassen konnte, ist es im internationalen Schnellzug von Walliser Beamten angehalten worden. Widerstandlos haben sich
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