Scherbenhaufen
haben sich hier sowohl die Möblierung als auch der Wandschmuck radikal verändert. Zu ihrem ästhetischen Nachteil. Fotoposter von monströsen Musclecars und schweren Motorrädern haben die Originalgrafik der regionalen Künstlerschaft verdrängt. Bugholzlehner sind höhenverstellbaren Plastikstühlen gewichen.
Derart radikale Veränderungen einer Einrichtung basieren nicht selten auf vorgängigen Personalentscheiden. Das gilt meiner Meinung nach genauso für den privaten Bereich. Hängt die Tochter die Poster um, hängt sie höchstwahrscheinlich mit einem neuen Typen rum. Verschiebt die Gattin die Möbel nach den Gesetzen von Feng-Shui, ist im Eheleben die höchste Alarmstufe angezeigt. Und glimmen im Chefbüro unerwartet Duftkerzen, ist dies ein untrügerisches Zeichen dafür, dass das Herz einer Sekretärin zum Schmelzen gebracht werden sollen.
Anton Geissbühler setzt meiner Verwunderung ein Ende. »Ich denke, die ganze Sache erscheint in einem neuen Licht.«
Ich mustere irrtümlich die neuen Beleuchtungskörper. Natürlich redet der Hauptmann von den Ergebnissen seiner Befragungen. »Wie sieht der neuste Stand der Dinge aus?«
»Bezüglich des zerbrochenen Krugs liegen die Fakten grosso modo auf dem Tisch.«
»Martha Rechberger hat Niklaus Weihermann zu Unrecht beschuldigt?«, nehme ich vorweg.
»So ist es. Allerdings nicht unabsichtlich«, bestätigt er.
Ich hake nach: »Sie meinen, Frau Rechberger hat dem Freund ihrer Tochter die Zerstörung vorgeworfen, obschon sie von Beginn weg wusste, dass er nicht der Täter ist?«
»Richtig. Es erschien ihr als das kleinere Übel, Eva an einen Elefanten im Porzellanladen zu verlieren als an ein Schwein im Löwenschlitten«, stellt Geissbühler drastisch fest.
»Bleibt Niklaus Weihermann weiterhin in Untersuchungshaft?«
»Es bestehen weiterhin Verdunkelungs- und Fluchtgefahr«, bestätigt der Hauptmann. »Niklaus Weihermann hat sich offenbar Adam Füsslis Haarteil geschnappt, im väterlichen Betrieb Zugriff zu einer Handfeuerwaffe gehabt und zum Zeitpunkt der Bluttat möglicherweise ein Boot gerudert. Auf den Richter wurden zwei Schüsse abgegeben. Der eine hinterließ im Schädel einen Schusskanal, der auf eine Neunmillimeterwaffe schließen lässt.«
»Die Armeepistole 49?«
»Eine SIC P-210 käme als Tatwaffe durchaus infrage.«
»Könnte nicht ebensogut Eva Rechberger ihren Peiniger liquidiert haben?«
»Grundsätzlich schon. Selbst ihre Mutter könnte hinter der Tat stecken. Vor allem, wenn sie Videoaufnahmen der Überwachungskameras zu Gesicht bekommen haben und damit mediale Zeugin der Geschehnisse im Schlosskeller geworden sein sollte.«
»Und der alte Weihermann?«
»Ja, auch er hätte ein Motiv«, ist Anton Geissbühler überzeugt. »Er könnte die Tat stellvertretend für seinen Sohn verübt haben.«
»Wie wahrscheinlich wäre ein Racheakt aus Füsslis Umfeld der ungeklärten Todesfälle?«
Hauptmann Geissbühler schielt kurz auf seine Armbanduhr und hebt die Augenbrauen. »Denken Sie an den verschollenen Alpinisten aus Interlaken, Herr Feller?«
»Beispielsweise. Falls einer der Hinterbliebenen noch immer der Überzeugung sein sollte, dass der damalige Mitbewerber von Füssli aus dem Weg geräumt worden ist, müsste Selbstjustiz in Betracht gezogen werden.«
»Wir haben damals gründlich untersucht, ob der Thuner Richter seine Unterstützung der alpinen Suchtrupps dazu missbraucht hatte, die Leiche verschwinden zu lassen«, informiert Anton Geissbühler. »Es gibt im Gebiet des Gspaltenhorns verlassene Grotten, Höhlen und Kluften einheimischer Strahler. Die Kristallsucher schließen nach der Ausbeute ihre Fundorte und überlassen es dem Zufall, ob diese je wieder von Menschenhand aufgebrochen werden.«
»In einer solchen Kluft vermutete die Polizei die Gebeine des Alpinisten?«
Hauptmann Geissbühler streicht sich mit Daumen und Zeigefinger das bartlose Kinn. »Richtig. Aber diese Annahme konnte nicht erhärtet werden. Inzwischen ist der Fall verjährt und der Verschollene für tot erklärt worden.«
Ich lasse nicht locker. »Und was ist mit den Familienangehörigen der beiden verstorbenen Ehefrauen von Adam Füssli? Kam es da nicht mal zu einer aufsehenerregenden Szene im Richteramt?«
»Auch dazu sind die Ermittlungen längst eingestellt worden«, informiert der Hauptmann. »Schon möglich, dass trotzdem irgendwer auf eigene Faust weiter ermittelt hat, mit der fixen Idee, Füssli habe das Ableben der einen oder anderen Gattin
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