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Scherbenparadies

Scherbenparadies

Titel: Scherbenparadies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Loehnig
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Klamotten, hastig gepafften Zigaretten und diversen Parfums. Als Joswig eintrat, rutschten alle auf ihre Plätze und stellten die Gespräche ein. Joswig war der einzige Lehrer, dem diese Ehre zuteilwurde. Die Schüler mochten und respektierten ihn wie sonst keinen in der Schule. Zum Teil lag es daran, dass er ziemlich jung war – noch gar nicht richtig Lehrer, sondern erst Referendar –, aber auch an einer Autorität, die ganz natürlich von ihm auszugehen schien. Joswig nahm seine Schüler ernst und begegnete ihnen auf Augenhöhe, ohne sich kumpelhaft anzubiedern. Nun stellte er seine Crumplertasche aufs Pult und lächelte in die Klasse. »Guten Morgen.«
    Sandra kam nicht umhin, wieder einmal zu bemerken, dass Joswig richtig gut aussah. Und es war kein Geheimnis, dass einige Mädchen der 10 E für ihn schwärmten. Maja beispielsweise.
    Kastanienbraune Wuschelhaare, braune Augen mit grünen Sprenkeln, ein markantes Kinn, ein nettes Lächeln und eine super Figur.
    Ein freundliches Gemurmel war die Antwort auf Joswigs Begrüßung.
    »Sandra. Wie sieht’s aus? Magst du gleich mit deinem Referat beginnen?« Joswig blickte fragend in ihre Richtung.
    Sie nickte, griff nach ihren Unterlagen und ging nach vorne. Während er sich setzte, ordnete sie die Blätter und bemerkte dabei, dass sie fror, obwohl das Klassenzimmer überheizt und die Luft stickig war. In ihrem Magen wütete weiter dieser dumpfe Schmerz. Den musste sie jetzt ignorieren.
    »Also, ich erzähle euch heute etwas über den Deichgrafen Hauke Haien aus Theodor Storms Novelle Der Schimmelreiter . Wer von euch Fantasy liest und Gruselgeschichten mag, der sollte sich das hier nicht entgehen lassen.« Sie hob das gelbe Reclamheft hoch und sah noch, wie Maja die Augen verdrehte, als ohne Vorwarnung eine Welle von Übelkeit und Schwäche aus ihrem Magen aufstieg und sie überrollte. Ihr wurde schwindlig. Halt suchend griff sie nach dem Pult und atmete durch. Shit! Sie würde jetzt nicht schlappmachen. »Der Schimmel…reiter ist eine Novelle von Theodor Storm aus dem Jahr… 1888.« Nur noch verschwommen nahm Sandra die Gesichter vor sich wahr. »Die Hauptfigur ist Hauke Haien… ein… Deichgraf.« Ihre Stimme schien aus weiter Ferne zu kommen. Krampfhaft suchte sie nach Worten, doch ihr Hirn schien wie leer gefegt. Sie hörte ihr Herz klopfen und spürte den vibrierenden Pulsschlag in der Halsschlagader. Ihr leerer Magen krampfte sich zusammen. Plötzlich stand Joswig neben ihr. »Ist dir nicht gut?«
    Sandra schüttelte den Kopf. »Ich fühle mich… irgendwie komisch.« Noch immer hörte sie ihre Stimme wie aus weiter Ferne.
    »Alina. Kommst du?« Joswig ließ Sandra nicht aus den Augen. »Alina bringt dich zum Sanitätsraum. Dort kannst du dich hinlegen. Hoffentlich brütest du keine Grippe aus.« Joswigs Blick ruhte auf den feuchten Chucks.
    »Aber das Referat…«
    »… kannst du auch in der nächsten Stunde halten.«
    Alina kam nach vorn und hakte Sandra unter. Ihr war zum Heulen zumute. Inzwischen herrschte Unruhe in der Klasse und es wurde getuschelt. Im Vorbeigehen hörte Sandra, wie Maja Pat zuraunte: »Kein Wunder, dass sie beinahe zusammenklappt. Ich sage nur: magersüchtig!«
    Auf dem Weg zum Sanitätsraum, der gleich neben dem Sekretariat lag, fragte Alina, ob an Majas Bemerkung etwas dran sei. »Nimm es mir nicht übel, wenn ich das frage, aber du hast in den letzten Monaten echt heftig abgenommen.«
    Müde schüttelte Sandra den Kopf. »Ich hab einfach keinen Hunger.« Ihr Magen bestrafte sie sofort für diese Lüge. Er wurde erneut zu einem schmerzenden Klumpen.
    »Also, normal ist das nicht. Warst du schon beim Arzt?«
    »Mach ich demnächst.« Im Sanitätsraum ließ sie sich auf die Liege fallen. Während Alina verschwand, um Hilfe zu holen, ließ Sandras Übelkeit nach. Sie fühlte sich schon deutlich besser, als ihre Freundin mit der Schulsekretärin zurückkehrte. Alina warf noch einen besorgten Blick auf Sandra, dann ging sie zurück in die Klasse.
    Monika Brettschneider war eine dralle Mittfünfzigerin mit mahagonifarbenen Locken und rot lackierten Fingernägeln, für die sie eigentlich einen Waffenschein benötigt hätte. Mit einem Becher Kaffee in der einen Hand und einem Schokoriegel in der anderen setzte sie sich auf den Rand der Pritsche. »Unterzucker«, sagte sie und schüttelte missbilligend den Kopf. »Schlank sein ist ja gut und schön. Aber alles hat seine Grenzen.« Sie reichte Sandra, die sich aufgesetzt hatte, den Kaffee.

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