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scherbenpark

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Titel: scherbenpark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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aussichtslosen Kampf tritt – und verliert. Wie sie durch die Tür geht. unsere Sperrmüll-Couch mit dem kleinen Tisch davor sieht, dessen drittes Bein abbricht, wenn man es schief anguckt. Die Bücher auf dem Boden. Den kleinen Fernseher und den Stapel Videokassetten davor. Schon damals hatte kein Mensch mehr Videokassetten! Den Schrank ohne Tür. Die Socken meines Stiefvaters auf der Heizung. Die Strumpfhose meines Bruders über dem Stuhl. Wir hatten fünf Stühle, und keiner war so wie der andere, denn alle kamen vom Sperrmüll.
    Wir aßen immer in der Küche, außer wenn wir mit Gästen feierten und dafür größere Räumungsarbeiten im Wohnzimmer vornehmen mussten, um die bei den Nachbarn ausgeliehenen Stühle unterzubringen. Unser Küchentisch stand normalerweise voll mit Marmeladengläsern, Briefen, Postkarten, halb leeren Flaschen und alten Zeitungen. Wir hatten 20 Teller, und keiner war dem anderen gleich, weil meine Mutter sie alle einzeln auf einem Flohmarkt gekauft hatte.
    Wir besaßen damals noch keine Spülmaschine, und oft türmten sich alle unsere 20 Teller in der Spüle, bis meine Mutter heimkam und aufräumte. Manchmal tat ich das, aber eher selten. Vor allem dann nicht, wennVadim mich dazu aufforderte, jener Vadim übrigens, der immer seine Pfanne mit den angebrannten Rührei-Resten stehen ließ. Nur wenn er den Namen meiner Mutter drohend in seinen dreckigen Mund nahm, räumte ich ganz schnell auf.

Ich hasse Männer.
    Anna sagt, dass es auch gute Männer gibt. Nette, freundliche, die kochen und sauber machen und Geld verdienen und Kinder wollen und Geschenke machen und Urlaub buchen und saubere Kleidung tragen und nicht saufen und vielleicht sogar gut aussehen. Wo gibt es die, frage ich da, auf dem Mond? Anna behauptet, dass es solche Männer gibt, wenn nicht in unserer Stadt, dann vielleicht in Frankfurt. Aber sie selber kennt persönlich auch keinen, höchstens aus dem Fernsehen.
    Deswegen wiederhole ich gern das, was meine Mutter immer gesagt hat: Ich bin mir selber ein Mann.
    Wobei sie das zwar gesagt, sich aber nie daran gehalten hat.
    Seit ich weiß, dass ich Vadim umbringen werde, geht es mir schon viel besser. Ich habe es auch meinem kleinen Bruder Anton versprochen, der neun Jahre alt ist. Ich glaube, seitdem geht es ihm auch besser. Als ich ihm davon erzählt habe, hat er die Augen aufgerissen und atemlos gefragt: »Und wie willst du das machen?«
    Ich habe so getan, als hätte ich alles im Griff. »Es gibt tausend Möglichkeiten«, habe ich gesagt. »Ich kann ihn vergiften, erwürgen, erdrosseln, erstechen, vom Balkon werfen, mit einem Auto überfahren.«
    »Du hast doch gar kein Auto«, sagte mein Bruder Anton, und natürlich hatte er recht.
    »Ich komme im Moment auch nicht an den Vadim ran«, sagte ich da. »Du weißt doch, er sitzt im Gefängnis. Er bleibt doch noch viele Jahre drin.«
    »Dann dauert es noch so lange?« fragte Anton.
    »Schon«, sagte ich. »Aber das ist auch gut so. Ich kann mich besser vorbereiten. Weißt du, es ist gar nicht so einfach, jemanden umzubringen, wenn man es noch nie gemacht hat.«
    »Beim nächsten Mal geht es bestimmt besser«, sagte Anton fachmännisch.
    »Ich will erst mal dieses eine Mal über die Bühne bringen«, sagte ich. »Es soll kein Hobby werden.«
    Es hat mich erleichtert, dass Anton die Idee gut findet. Schließlich ist Vadim sein Vater. Aber der Kleine hasst ihn genauso wie ich. Wenn nicht noch mehr. seine Nerven waren bereits vorher im Eimer, weil er im Gegensatz zu mir schon immer Angst vor Vadim hatte.
    Jetzt ist Anton immer noch völlig fertig, und es wird nicht besser, und ich frage mich, ob diese ganzen Therapien auch was bringen. Anton stottert, kann sich in der Schule nicht konzentrieren, pisst nachts ins Bett und beginnt zu zittern, wenn jemand mal etwas lauter wird. Dabei behaupteter, dass er sich an nichts erinnern kann. Ich sage dann immer: Sei froh. Ich bin auch froh, dass ich mich an nichts erinnern kann, obwohl ich dabei war.
    Über meinen ersten Traum kann ich mit Anton reden. Über den anderen nicht. Denn immer, wenn jemand in seiner Gegenwart das Wort »Mama« ausspricht, wirdAnton steif und sitzt so erstarrt und unmenschlich da, als hätte ihn gerade die Schneekönigin geküsst. Das Märchen von der Schneekönigin hatte meine Mutter uns oft vorgelesen, sie liebte Andersen, sie liebte überhaupt alles. Wenn sich jemand fies benahm, sagte meine Mutter, Wahrscheinlich habe er gerade ein Stück von dem Spiegel im Auge

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