scherbenpark
waren. Aber einmal stand Bio-Butter auf dem Tisch, und da habe ich einen Anfall bekommen.
Ich erinnere mich noch an den Blick, den mir eine der Frauen zuwarf, als ich schreiend auf den Boden fiel, direkt auf die zertretene Butter. In diesem Blick lag Erleichterung. Sie hatten mich tagelang vollgebrummt, ich bräuchte jetzt nicht zu funktionieren. Ich könnte meinen Gefühlen freien Lauf lassen. Ich müsste es sogar.
Ich habe ihnen aber nicht zugehört.
Und dann war plötzlich Maria da. Cousine zweiten Grades, mit drei berstenden Koffern importiert aus Nowosibirsk. Eine Chance für die traumatisierten Kinder , wieder eine Familie zu werden.
Vadims Cousine übrigens.
Ich hatte zugestimmt, dass sie kommt, denn nach der Erfahrung mit der städtischen Wohnung reagierte ich allergisch auf das Wort »Heim«, und es standen auch keine Pflegeeltern Schlange, die dreiverstörte russischstämmige Bälger auf einmal aufnehmen wollten. Und schon gar nicht in die Wohnung ziehen, in deren endlich mal richtig gesaugten Ecken sich die Halbwaisen drückten wie verschreckte Kaninchen. Die Wohnung, deren Tür abfotografiert wurde wie Heidi Klum.
Also Maria.
Maria ist Mitte dreißig und sieht aus wie fünfzig. Sie hat in Nowosibirsk in einer Fabrik-Kantine gearbeitet.Maria, das sind schwielige Hände groß wie Spaten, aber mit rot lackierten Nägeln, kurze Haare, blondiert und dauergewellt, dicke Beine mit Krampfadern, die man aber unter Wollstrumpfhosen nicht sieht, ein Dutzend geblümte Kleider, ein Hintern so breit, dass darauf ein Hubschrauber landen könnte, süßliches Parfüm, von dem man niesen muss, rot angemalter großer Mund, dicke Backen, kleine Augen.
Liebe Augen. überhaupt ist sie lieb, die Maria.
Alissa erlag ihr sofort, wie erschossen. Maria dies, Maria das, Mascha, meine, Ma-Ma-Ma-MAMA! Ich war deswegen nicht etwa sauer auf sie. Sie war einfach noch verdammt klein.
Sie hat Marias unermesslichen Schoß sofort besetzt. Ich glaube, sie wollte tagelang nicht runter, und Maria war sehr nervös, weil sie mit Alissa auf dem Schoß so schlecht kochen konnte. Als ob irgendjemand von uns essen wollte. Anton und ich, wir haben tagelang nichts gegessen, und irgendwann ist er zusammengeklappt, und ich habe ihn noch zusätzlich zusammengestaucht.
Ich habe ihm erklärt, dass er, wenn er nicht isst, ins Krankenhaus kommt. Und dass Maria dann als unfähig zurück nach Nowosibirsk gekickt wird. Und das bedeutete Heim oder getrennte Pflegefamilien.
Danach hat er gegessen. Ich saß dabei und schaute zu, während er fleißig kaute, die großen runden Augen auf die weiße Wand gerichtet. Maria häufte ihm immer mehr auf seinen Teller Zweimal hat sich Anton nach dem Essen übergeben, und da habe ich zu Maria gesagt – besser kleine Portionen, dafür öfter. Und nicht so fett. Und trinken.
Sie hat gut gekocht, die Maria. Sie kocht immer noch gut. Viel besser als meine Mutter. Maria kann Borschtsch und andere komplizierte Suppen. In der Wohnung riecht es immer nach Essen. Sie kocht richtige Brühen, aus Huhn oder Rindfleisch, mit Gemüse und Bündeln von Grünzeug. Sie brät formvollendete Frikadellen und Pfannkuchen so dünn wie Spitze. Im russischen Supermarkt um die Ecke hat sie gezuckerte Kondensmilch entdeckt, eine zu Sowjetzeiten mehr als Kaviar begehrte Süßpampe, und da tunkt sie die zusammengelegten Pfannkuchen hinein. Sie legt Gurken ein und kocht Marmelade aus schwarzen Johannisbeeren.
Uns geht es gut, erzähle ich meiner Mutter. Wir werden richtig gemästet. Ich wünschte, du könntest davon probieren. Du hast dich immer für alles interessiert, was lecker, schön oder ungewöhnlich war.
In den Zeitungsartikeln war Maria »die einzige lebende Verwandte, die bereit war, sich um die drei zurückgebliebenen Geschwister zu kümmern«.
Wir sind nicht »zurückgeblieben«, habe ich da gemurmelt. Und Maria ist nicht gekommen, um uns ihr wertes Leben vor die Füße zu werfen. Wenn man in einer Kantine in Nowosibirsk arbeitet und gefragt wird, ob man nach Deutschland kommt, um für ein paar Kinder Suppe zu kochen, dann ist es zwar ein bisschen weniger als ein halbes Königreich, aber viel mehr als ein Sechser im Lotto.
Zumal Maria nur irgendwann in ihrer Jugend verheiratet und schnell wieder geschieden war. Vielleicht auch zweimal. Kinder und Haustiere hat sie nicht, undso hat sie gedacht, dass sie nichts an ihre Einzimmerwohnung und an ihre Kantine bindet. Das hat sich inzwischen als falsch herausgestellt, und das hätte
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