Schicksal!
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R egel Nummer 1 : Emotional auf Abstand bleiben.
Ziemlich einfache Regel, wirklich. Trotzdem sitze ich hier in einem Einkaufszentrum in Paramus, New Jersey, und bin frustriert.
Verärgert.
Enttäuscht.
Dreiundachtzig Prozent der menschlichen Bevölkerung sind leicht durchschaubare Gewohnheitstiere. Sie kleben an ihren Routinen, an Lifestyle und Süchten oder verbringen ihr Leben damit, eine Abhängigkeit gegen die nächste einzutauschen.
Meine
dreiundachtzig Prozent.
Meine
Menschen – rund fünfeinhalb Milliarden von ihnen, um genau zu sein.
Ein Einkaufszentrum ist der beste Ort, um die menschliche Spezies in all ihrer Pracht zu studieren. Oder in all ihrer Fehlbarkeit – je nach Blickwinkel des Betrachters. Männer und Frauen, Teenager und Kinder shoppen, essen, tratschen, füllen das Vakuum ihres Lebens mit therapeutischen Einkaufsorgien und unnützen Kalorien. Am liebsten mag ich die älteren Einkaufszentren, die nicht gleich ganz so groß wie Sri Lanka sind und in denen es noch diese Gemeinschaftsfresshallen gibt – von Ketten wie Orange Julius, Panda Express oder Hot Dog on a Stick.
Schon gewusst, dass es in den Vereinigten Staaten doppelt so viele Einkaufszentren wie Highschools gibt? Die »Mall« hat die Kirche als Tempel kultureller Verehrung abgelöst. Und die Gesellschaft ermutigt ihre Bürger auch noch, den eigenen Wert an finanziellem Erfolg und weltlichen Besitztümern zu messen. Kein Wunder, dass die Amerikaner ihr Einkommen größtenteils in Schuhe, Uhren und Schmuck investieren statt in Bildung.
Klar –
Gier
und
Neid
sind so auf Dauer gut beschäftigt. Aber
mein
Leben macht es zur Hölle.
Früher, als die Menschen sich noch in der Jäger-und-Sammler-Phase befanden, drehte sich alles ums Überleben. Oder um die Befriedigung der Grundbedürfnisse: Nahrung, Kleidung, ein Dach über dem Kopf. Viel Auswahl gab es nicht. Keine Kochshows mit Martha Stewart. Kein Calvin-Klein-Logo auf der Kleidung. Keine Ralph-Lauren-Gardinen zur farblich abgestimmten Bettdecke.
Um es auf den Punkt zu bringen: Menschen sind süchtig nach Produkten.
Gewohnheits-Konsumenten. Vom Luxus verführt. Belohnungs-Automaten.
Auf Haben, Wollen und Kaufen programmiert.
MP 3 -Player. Xbox. PlayStations der dritten Generation.
TiVo-Festplattenrekorder. Surround-Sound. HD - TV auf dem Flatscreen-Fernseher.
Tausende von Kabelkanälen mit Filmen und Musik und Pay-per-View.
Ihre Gelüste lenken sie ab, ihre Bedürfnisse und Wünsche überwältigen sie, und deshalb bleiben sie nie auf dem ihnen zugewiesenen Pfad. Bei ihrer optimalen Zukunft. Bei ihrem befriedigendsten Schicksal.
Denn dieses Schicksal – das bin ich. Gestatten,
Schicksal
mein Name. Schick wie in Schickeria, dann Saal mit einem a.
Schon bei ihrer Geburt setze ich meine Menschen auf ihrem Pfad ab, weise ihnen ihre Schicksale zu: vom Berufsverbrecher bis zum Geschäftsführer eines Ölkonzerns. Kein besonders großer Unterschied, bei Licht betrachtet. Aber so vielversprechend das Schicksal auch ist, das ich ihnen zuteile – Chef eines Filmstudios, Ersatzquarterback in der National Football League, Gouverneur von Kalifornien … Der Großteil von ihnen vermasselt es. Immer.
Es liegt in der menschlichen Natur, unter dem eigenen Niveau zu bleiben. Das eigene Potenzial nicht voll auszuschöpfen. Sicher, das eigene Schicksal bietet selten Anlass zu Größenwahn. Kaum einer wird schließlich Friedensnobelpreisträger oder Stephen King. Und ganz ehrlich: Wenn die Zukunft für jemanden Geisteskrankheit, Drogensucht oder eine Karriere in der Politik bereithält, sollte ich wohl keine angenehmen Überraschungen erwarten. Ich kann nur Schicksale zuweisen, sonst nichts. Danach kann ich bloß das Beste hoffen. Allerdings bedeutet das leider noch lange nicht, dass dann nichts mehr schiefgehen kann.
Der Grund ist: Im Leben eines jeden Menschen kommt es zu einschneidenden Situationen. Zu Augenblicken, in denen die Entscheidung, die ein Mensch fällt, ausschlaggebend dafür ist, ob und wie weit er von seinem vorbestimmten Weg abweicht. Diese Entschlüsse beeinflussen, wie er sein Leben lebt.
Mit Anstand.
Mit Mitgefühl.
Mit Gier.
Jede einzelne dieser Entscheidungen erfordert eine Neuanpassung ihrer oder seiner Zukunft. Eine notwendige Neuzuweisung ihres oder seines Schicksals. Und an jedem dieser Scheidepunkte sehe ich, wie der Großteil meiner Menschen die falsche Entscheidung trifft.
Während ich also hier auf einer Bank zwischen Foot Locker und einem
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