Schicksal!
wortgewandten Verkäufern, die den Leuten erzählen, was sie brauchen und tun und lassen sollten, um glücklich zu werden.
»Was ist los?«, will Jerry wissen. »Und komm mir nicht wieder mit diesem Europa-Kolonialismus-Mist. Das musste früher oder später passieren, also find dich endlich damit ab.«
Wenn ich bedenke, mit wem ich hier gerade rede, ist es tatsächlich nicht die beste Idee, mich über die Arbeitsmenge oder den Kummer zu beschweren, den mir mein Job Tag für Tag bereitet. Trotzdem: In letzter Zeit kommt es mir immer öfter so vor, als wäre es ganz egal, was ich tue oder lasse. Welchen Pfad ich für meine Menschen bei ihrer Geburt auch festlege: Der Großteil von ihnen enttäuscht mich schließlich doch. Also habe ich angefangen, ihnen willkürlich irgendwelche Schicksale zuzuweisen. Dadurch habe ich meine Quoten nicht eingehalten. Und dafür gesorgt, dass einige Regionen mit Taxifahrern und Straßenkünstlern gepflastert sind.
Quoten bedeuten Jerry sehr viel.
Regel Nummer 9 : Erfülle deine Quoten.
So viele Rechtsanwälte. So viele Paparazzi. So viele Stripperinnen. Die Sache mit der Schicksalsmacherei ist gar nicht so leicht, wie sie vielleicht klingen mag. Am Ende kommen zu viele Barkeeper heraus, und schon kann das gesamte kosmische Gefüge aus dem Gleichgewicht geraten.
»Ich weiß nicht«, erwidere ich. »Ich glaube, ich bin ausgelaugt.«
»Ausgelaugt?«, fragt er. »Du bist ausgelaugt?«
An seinem Tonfall kann ich deutlich hören, dass er für so etwas wirklich keine Zeit hat. Trotzdem: Ich kann es genauso gut einfach mal versuchen.
»Ja«, sage ich. »Ich hatte irgendwie gehofft, ich würde eine neue Aufgabe bekommen.«
Er lacht laut auf – und es ist nicht gerade lustig, wenn Jerry lacht. Besonders dann nicht, wenn er auf der Erde ist. Man denke nur an den Vesuv. Krakatau. Mount St. Helens. Zum Glück hat er nicht sonderlich viel Sinn für Humor.
Ich schaue nach unten und frage mich – nicht zum ersten Mal –, ob der Glasplattenfußboden das mitmacht.
Es ist nicht so, dass es bei uns keine Präzedenzfälle für Jobtausch oder Neuzuweisungen geben würde.
Glaube
etwa ist während der Jahrtausende mehr als einmal ersetzt worden,
Treue
hat seit Beginn des Freie-Liebe-Debakels einen reinen Schreibtischjob,
Vernunft
ist nach den Hexenprozessen von Salem gefeuert worden, und
Ego
hat seine Stelle nach der Trennung der Beatles verloren.
Um nur ein paar Beispiele zu nennen.
Es ist also nicht so, als ob ich um etwas Unmögliches bitten würde.
Schließlich hört Jerry auf zu lachen und sagt: »Wir haben zurzeit keine unbesetzten Stellen.«
»Was ist mit
Frieden?
«, frage ich. »Die Stelle ist bisher nicht neu besetzt worden.«
»Frieden willst du nicht«, entgegnet Jerry. »Vertrau mir. Und nebenbei bemerkt: Du machst das schon so lange, dass ich niemanden zur Hand habe, der deinen Job übernehmen könnte.«
Na prima. Ich habe mich selbst unersetzlich gemacht.
»Steck einfach etwas mehr Elan in deine Arbeit«, meint Jerry, stempelt ein Blatt Papier ab und legt es in sein Ablagefach. »Achte auf das, was du tust. Beschäftige dich mehr damit und zeig Interesse daran.«
Er hat leicht reden. Ihn beten die Menschen an. Mich dagegen verfluchen sie.
Ich danke Jerry, dass er sich Zeit für mich genommen hat, dann schleiche ich auf Zehenspitzen zu meinen Schuhen zurück.
Im Empfangsbereich kommt mir die Frau mit dem Bauchspeicheldrüsenkrebs entgegen; offenbar ist sie Jerrys nächster Termin. Im Vorbeigehen dreht sie sich um und spuckt mir ins Gesicht.
Irgendwo hinter mir bricht
Feindseligkeit
in schallendes Gelächter aus.
4
I ch bin in Duluth, Minnesota, esse einen glasierten Donut von Krispy Kreme und beobachte einen vierundvierzigjährigen Biologielehrer, der vor der Hintertür des Hauses seiner siebzehnjährigen Lieblingsschülerin auf und ab läuft. Sein Dilemma: Sie hat ihn zu sich gebeten, um ihr private Nachhilfestunden in Biologie zu geben, und ihre Eltern sind übers Wochenende nicht in der Stadt. Und hier steht er nun um neun Uhr morgens vor ihrem Hitereingang, während seine Frau denkt, er wäre angeln. Er weiß: Wenn er an die Tür klopft, schlägt er einen Pfad ein, der möglicherweise seine Karriere ruinieren und seine Ehe zerstören wird.
Aber seine Lieblingsschülerin ist so unglaublich scharf. Sie hat perfekte Titten und einen unglaublichen Arsch; naturblondes Haar, das wie Honig duftet; Augen, die ihn verstehen, und Lippen, die er verschlingen will. Und
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