Schicksal!
so viel Leidenschaft und Schönheit aus, dass ich ihr gern den Rest meiner Wurst ins Gesicht klatschen möchte.
Das Schicksal legt den Kurs des Lebens fest. Und meine Menschen treffen auf ihrem Weg zwar selbst die Entscheidungen, die einen nachteiligen Einfluss auf ihre Zukunft haben können. Trotzdem haben sie auf ihre neu zugewiesenen Schicksale keinen Einfluss. Bei mir hat man keine Wahl. Zusammenarbeit ist nicht meine Sache.
Denkt an einen Einsiedler.
An Autoerotik.
An Henry David Thoreau.
Und selbst wenn ich helfen wollte, selbst wenn ich jemanden anleiten, ihm Vorschläge machen oder zumindest subtile Hinweise geben wollte – ich dürfte es nicht. Ihr wisst schon: die Sache mit dem »freien Willen«. Menschen sollen ihre eigenen Entscheidungen treffen dürfen und mit den Konsequenzen leben.
Stellt euch meine Menschen einfach als ungezogene Kinder vor. Die haben ja auch kein Mitspracherecht bei der Schwere ihrer Bestrafung.
Bei
Bestimmung
hingegen sind die Menschen stärker in den Prozess eingebunden. Denn ohne die freiwillige Mitarbeit des Subjekts gibt es keine Bestimmung. Ihre Menschen schlagen unterschiedliche Lebenswege ein und
wählen
so ihre Bestimmung. Klar: Sie können immer noch Fehler machen. Aber wir sprechen hier eher über zwei statt drei Oscars. Oder den Pulitzer-Preis statt des Friedensnobelpreises.
Stellt euch die Menschen von
Bestimmung
einfach als Einser-Schüler vor, die die freie Wahl zwischen allen Universitäten haben.
Ich hätte das Kleingedruckte in meiner Jobbeschreibung lesen sollen.
Bestimmung
deutet vage auf den Becher Orangensaft, der zwischen meinen Beinen auf der Bank steht, und fragt: »Wie wär’s, lässt du mich mal saugen?«
»Ich bin beschäftigt«, erwidere ich. »Wieso verschwindest du nicht und nervst
Fleiß
oder
Barmherzigkeit?
«
»Och, komm schon, Seeeeergio«, sagt sie. »Ich bin einfach gut drauf.«
Immer wenn
Bestimmung
mich mit meinem Pseudonym anredet, zieht sie die erste Silbe in die Länge, als wollte sie sich über mich lustig machen.
Nicht alle von uns haben Pseudonyme.
Bestimmung
bevorzugt ihren angestammten Namen, während
Tod
am liebsten Teddy gerufen wird. Die meisten der sieben Todsünden – wir nennen sie gern die Tödlichen – haben Künstlernamen. Wer will schon gern
Zorn
oder
Neid
oder
Gier
genannt werden? Die sieben himmlischen Tugenden haben dagegen alle ihre Namen beibehalten – bis auf
Mäßigung,
der von allen Mike genannt wird.
»Also, seit wann bist du wieder hier?«, fragt sie, spielt kokett mit ihrem Haar und sieht mich mit Schlafzimmerblick aus großen Augen an. Obwohl sie nicht so eine Schlampe wie
Lust
ist, hat sie ab und zu definitiv ihre fünf Minuten.
»Weiß nicht«, antworte ich, schlucke den letzten Bissen von meinem Hotdog hinunter und erreiche kurz darauf schlürfend den Becherboden meines Orange Julius. »Seit ein paar Tagen.«
Die meisten von uns nennen New York ihr Zuhause, obwohl wir nicht das ganze Jahr über hier sind. Mit mehr als sechseinhalb Milliarden Menschen auf dem Planeten müssen wir ziemlich allgegenwärtig sein.
»Sonst noch jemand da?«, erkundige ich mich.
»
Reue
und
Hoffnung.
Und natürlich ein paar von den Tödlichen. Außerdem hab ich gehört, dass
Vorurteil
versucht, eine Pokerrunde auf die Beine zu stellen. Sieht bislang nicht gut aus.«
Um es auf den Punkt zu bringen:
Vorurteil
hat das Tourette-Syndrom.
Ein paar Minuten sitzen
Bestimmung
und ich schweigend auf der Bank und betrachten die Mall-Zombies, die an uns vorbeistolpern, während ihr primitiver Verstand um flotte Dreier, iPods und Kalorienbomben kreist.
»Lust auf ein bisschen Noncontact-Sex?«, schlägt
Bestimmung
dann vor.
Bestimmung
mag in mir Gefühle von Neid und tiefster Verachtung hervorrufen. Doch das bedeutet nicht, dass ich ihr nicht gerne zuschauen würde, wie sie sich aus ihrem roten Minirock schält.
»Na klar«, sage ich. »Bei dir oder bei mir?«
2
I n meinen weißen Boxershorts liege ich neben einem Strauch blauer Hortensien auf dem Rücken, während
Bestimmung
mit nichts als einem roten Baumwolltanga am Leib breitbeinig über mir hockt. Dieser Moment könnte höchstens noch patriotischer werden, wenn Jimi Hendrix jetzt
The Star-Spangled Banner
zum Besten geben würde.
Das Großartige an Noncontact-Sex zwischen Unsterblichen ist: Man kann am helllichten Tag unsichtbar auf der allgemein zugänglichen Dachterrasse herumlaufen, ohne dass jemand sieht, was man gerade tut. In diesem Augenblick jedenfalls
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