Schicksal des Blutes
mir solche Sorgen um dich gemacht“, schniefte sie.
Amy wurde klar, dass sich Cira absichtlich weit entfernt von ihr an die Wand zurückgezogen hatte, ihr nicht noch einmal Angst einjagen wollte. Amys Lippen begannen, ebenfalls zu zittern. Ihr trockener Mund beabsichtigte, etwas zu sagen, brachte jedoch kein Wort hervor. Sie hob die schweren Arme.
Cira stand langsam, viel zu langsam auf und dann lagen sie endlich in einer Umarmung. Amy vermochte nicht zu sagen, wer sich an wen klammerte. Aus Cira flossen unzählige Worte, die einzeln für Amy keinen Sinn ergaben, aber im Gesamtbild bedeuteten, Cira hatte sie vermisst und sich um ihr Leben gesorgt. Amy nickte nur, ließ die Tränen rollen und hielt ihre Freundin so fest sie konnte.
Nach einer wohltuend langen Zeit flüsterte Amy Cira ins Ohr. „Ich stinke.“
Cira löste sich aus der Umklammerung. Ihr glückliches Kichern steigerte sich zu einem herzhaften Lachen. Amy lachte mit, doch der Frohsinn gefror in ihrem Gesicht, als hätte sie jemand mit einer Sense geköpft. Ihr Blutdruck fiel in den Keller und Magensäure kam unaufgefordert hoch. Ihr Blick haftete wie festgetackert an den zwei Reißzähnen in Ciras Oberkiefer, die nun versuchte, sie unter der Oberlippe zu verstecken.
„Oh, entschuldige! Ich … es war … Es ist so viel passiert.“
Amy schluckte. Sie zog ihr dickes Kissen zurecht und lehnte sich erschöpft an das Kopfteil des Bettes. „Du bist ein Vampir.“
Cira nickte.
„Jonas?“
„Ja … unter anderem.“
„Freiwillig?“, glitt es Amy besorgt über die Lippen, bevor sie nachdachte.
„Mehr oder weniger. Aber es ist okay.“ Cira lachte etwas gezwungen.
Amys Gehirn schien in ihrem Kopf hin- und herzuschwappen. Die letzten Stunden oder Tage … oder waren es gar Wochen … wirbelten wie nicht greifbare Seifenblasen umher. Kaum dachte sie, einen Anhaltspunkt zu erwischen, zerplatzte dieser, ohne eine Erkenntnis zurückzulassen. Perfekt! Ihr Hirn hatte sie noch nie im Stich gelassen.
„Keine Sorge, Amy, ich erzähle dir alles bis ins Detail. Aber jetzt musst du erst etwas trinken und essen. Und danach setze ich dich in die Badewanne und massiere dich.“
Ciras Lächeln ließ Amy seufzen. Sie erinnerte sich gut an die Flugzeugentführung, die Cira nur knapp und dank Jonas’ Eingreifen überlebt hatte und wie sie anfangs versucht hatte, Cira zu helfen, sich von dem Schock zu erholen. Ihr Gedächtnis funktionierte also noch. Dennoch war es grausam, aufzuwachen und sich nicht zu erinnern, was man getan hatte.
„Hab ich was angestellt?“
Cira bückte sich, um große Scherben und verschiedene Lebensmittel vom Teppich auf ein Tablett zu legen. „Bis auf das hier …?“ Cira sah hoch und lächelte sie liebevoll an. „Nein, keine Sorge. Du warst ganz brav.“
Amy atmete tief durch, runzelte aber die Stirn, denn das Du hatte ein wenig seltsam geklungen. Doch darauf würde sie sich später bestimmt einen Reim machen können.
„Wie wäre es, wenn ich erst einmal dusche und dann …“
Cira erhob sich mit dem Frühstückstablett. „Nein. Erst musst du was zu dir nehmen. Du musst auch nicht lange warten, ich bin jetzt viel schneller als vorher.“ Cira zwinkerte ihr zu und verschwand so rasch, als wäre sie wie ein Geist durch die geschlossene Tür geschwebt.
Amy lehnte sich zurück und fuhr sich durchs Haar. Es war kaum verheddert. Dankbar lächelte sie. Sicher hatte Cira es gebürstet. Und bestimmt hatte sie ihr auch diesen alten Pyjama verpasst. Sie strich über den weichen Baumwollstoff. Nein, sie konnte nicht warten. Sie glitt aus dem Bett und tappte barfuß ins Bad. Viel Flüssigkeit verließ ihren Körper nicht, was zu ihrem ausgetrockneten Befinden passte. Ohne in den Spiegel zu sehen, beugte sie sich über das Waschbecken und trank aus den mit warmem Wasser gefüllten Händen. Dann tauchte sie immer wieder das Gesicht ein und wusch es ausführlich. Was war das Letzte, an das sie sich erinnerte?
Sie war zu Cira und Jonas ins Krankenhaus geeilt, in das der Gärtner Greg wegen Herzstillstands eingeliefert worden war. Sie hatte Cira helfen wollen, ein paar Sachen aus dem halb zerstörten Schloss der Bakers zu holen und war auf einer dieser Demonstrationen gegen die Berichterstattung der Medien gewesen. Sie hatte sich einerseits geärgert, mit ihren Berichten über die Existenz von Wesen auf der Erde nur ein mitleidiges Lächeln erhalten zu haben und inzwischen war der Zug für eine Wahnsinnsreportage abgefahren.
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