Schicksalsmord (German Edition)
vorangegangenen Verhören war es immer nur um mein fehlendes Alibi und eine unbekannte Belastungszeugin gegangen, die mich zur fraglichen Zeit am Tatort gesehen haben wollte. Ich fürchtete schon, Dr. Hoffmann würde ebenfalls nur auf diesem Punkt herumreiten, doch er wollte zunächst alles Wesentliche über meine Ehe wissen, von ihrem Beginn bis zur räumlichen Trennung von meinem Mann vor vier Wochen. Seine Gründlichkeit hatte etwas Vertrauen erweckendes, und ich fühlte mich auf sicherem Terrain, als ich chronologisch zu erzählen begann:
„Vor unserer Ehe hatte ich den Rechtsanwalt Dr. Dietrich Tanner, meinen späteren Mann, bereits fünf Jahre gekannt. Damals war ich noch mit meinem ersten Mann, Thomas Gondschar, verheiratet. Als der schwer erkrankte und danach lange arbeitsunfähig war, gab ich mein Jurastudium auf, um mich ganz seiner Pflege zu widmen.“
Ich hatte erwartet, dass mein Verteidiger eine interessierte oder beifällige Bemerkung zu meinem Jurastudium machen würde, doch er nutzte die von mir vorsorglich eingelegte kleine Kunstpause nur dazu, um mir mit aufmunterndem Kopfnicken zu bedeuten, ich möge fortfahren.
„Da wir Geld brauchten, begann ich aushilfsweise in der Kanzlei von Dr. Tanner zu arbeiten, und nach Abschluss meiner Ausbildung zur Rechtsanwalts- und Notargehilfin wurde ich dort fest angestellt. Nebenbei besuchte ich weiterhin Vorlesungen, in der Absicht, mein Studium wieder aufzunehmen.“
Wieder zeigte mein Verteidiger keine anerkennende Regung, obwohl wir doch fast so etwas wie Kollegen waren. Geradezu etwas trotzig betonte ich daraufhin, wie sehr Dr. Tanner meine fachliche Kompetenz von Anfang an geschätzt hatte.
„Unser Verhältnis war jedoch in all den Jahren rein kollegial. Das änderte sich erst, als mein erster Mann mich vor fünf Jahren von einem Tag auf den anderen ganz unerwartet verließ.“
An dieser Stelle signalisierte mein Verteidiger nun erhöhte Aufmerksamkeit, doch ich verspürte nicht die geringste Neigung, näher auf die Sache einzugehen. „Eine andere Frau“, murmelte ich nur kurz und sah im gleichen Moment Ullas wutverzerrtes Gesicht vor mir aufblitzen. Ich machte ein unwillkürliche Handbewegung, um es zu verscheuchen.
„Jedenfalls“, fuhr ich fort, „war mir Dr. Tanner in dieser für mich sehr schwierigen Phase nicht nur juristisch, sondern auch menschlich eine große Hilfe. Wir kamen uns dadurch sehr nahe, und aus Dankbarkeit wurde bei mir schließlich Liebe. Er dagegen war schon lange in mich verliebt gewesen, wie er mir später gestand, und er und seine Frau hatten sich seit Jahren auseinandergelebt. Ich weiß, das klingt nach platter Phrase eines treulosen Ehemannes, doch in seinem Falle traf es wirklich zu. Er verbrachte mehr Zeit in der Kanzlei als zu Hause, und die Frau ging wohl auch seit einiger Zeit ihre eigenen Wege. Jedenfalls legte sie seiner Scheidungsabsicht keine Steine in den Weg, und ein Jahr später waren wir verheiratet. Nein, der Altersunterschied von 24 Jahren hat für mich damals keine Rolle gespielt. Seine menschliche Reife hatte etwas Beruhigendes für mich, ich fühlte mich geborgen. Schließlich war meine ohnehin nie glückliche Ehe mit einem gleichaltrigen Mann gerade kläglich gescheitert. Die erste Zeit meiner Ehe mit Dietrich Tanner war dann auch sehr glücklich. Wir haben unheimlich viel unternommen, sind um die halbe Welt gereist, und hatten oft Gäste. Ich habe weiterhin halbtags in der Kanzlei gearbeitet, und nebenbei Ausstellungen mit bekannten Künstlern und Buchlesungen in unseren Räumen organisiert. Mein Mann lebte richtig auf, holte in dieser Zeit wohl auch vieles nach, was er in seiner ersten Ehe vermisst hatte. Allerdings litt er von Anfang an unter dem Bruch mit seiner einzigen Tochter. Sie konnte das neue Leben ihres Vaters nicht akzeptieren, und begegnete mir, die ich mich ehrlich um sie bemüht hatte, mit unverhüllter Feindseligkeit. Besonders schmerzlich war es für meinen Mann, dass ihm dadurch auch der Kontakt zu seinen beiden Enkelkindern, zweijährigen Zwillingsbrüdern, verwehrt blieb. Doch im dritten Jahr unserer Ehe änderte Carola, also die Tochter meines Mannes, plötzlich ihre Meinung. Sie wollte den Kindern den Großvater nicht vorenthalten, hieß es plötzlich. In Wahrheit lagen ihre Gründe dafür wohl etwas anders: Nachdem sie sich von ihrem Lebensgefährten, dem Vater der Zwillinge, getrennt hatte, wollte sie sich wieder die Unterstützung ihres Vaters sichern. Mein Mann sah das
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