Schicksalsmord (German Edition)
Kurcafé. Wir nahmen in einer Nische Platz, wo niemand uns sehen konnte. Ich wünschte mir einen Eisbecher Spezial, den er lachend bestellte und mit Gleichmut hinnahm, dass ich ihn dann nicht schaffte. Damit hatte er die Probe meisterhaft bestanden, von da an vergötterte ich ihn.
Wir trafen uns nun regelmäßig und er erfüllte viele meiner geheimen Wünsche. Er fuhr mich in seinem tollen Auto umher, was mir auch deshalb viel bedeutete, weil ich zu meiner großen Scham das einzige Mädchen in meiner Klasse war, dessen Eltern kein Auto besaßen. Dass ich heimlich hinter dem Tennisclubhaus einsteigen und mich ducken musste, bis wir aus dem Ort hinaus waren, erhöhte den Reiz für mich noch. Damals entdeckte ich meine Lust am Versteckspiel.
Tennisstunden durfte ich dagegen ganz offiziell und mit Zustimmung meiner Eltern nehmen. Mein Vater fragte mich, ob ich Lust dazu hätte und winkte auf meinen Einwand hin, es würde mir sicher nicht erlaubt werden, nur lässig ab. Er werde das regeln. Dass es ihm tatsächlich offenbar mühelos gelang, beeindruckte mich sehr.
Mein Vater kaufte mir nicht nur die Tennisausrüstung, sondern auch andere schöne Sachen, die mein Herz begehrte, doch wagte ich aus Angst vor Entdeckung nicht, sie mit nach Hause zu nehmen. Als ich mit ihm über dieses Problem sprach, machte er mir das schönste Geschenk: Meine Zuflucht. Es handelte sich dabei um eine alte, aber solide Gartenlaube auf einem verwilderten Grundstück. Die ehemals sehr große Parzelle war geteilt worden, um auf dem vorderen Teil einen massiven Bungalow zu errichten, der ständig bewohnt war. Dort lebte eine alleinstehende ältere Dame. Für den hinteren Grundstücksteil konnte keine Baugenehmigung erteilt werden, weshalb sich kein Interessent dafür fand. Die ältere Dame, der er samt Laube gehörte, konnte sich schon lange nicht mehr darum kümmern. Sie hatte ihn deshalb meinem Vater verpachtet, der nach seiner Scheidung über ein Jahr in der Laube gelebt hatte. Auch später nutzte er sie gelegentlich noch. Die Besitzerin war seinem Charme offenbar total erlegen und fraß ihm aus der Hand. Sie versprach Stillschweigen darüber zu wahren, dass ich die Laube nun hin und wieder nutzen würde. Sollten meine Eltern Verdacht schöpfen, würde sie behaupten, ich helfe ihr gegen Entgelt ab und zu auf dem Grundstück. Unsere ausgeklügelten Vorsichtsmaßnahmen erwiesen sich als überflüssig, da meine Eltern nie Erkundigungen einzogen. Sie nahmen meine immer häufigere Abwesenheit von zu Hause genauso hin, wie die angeblich von meinem selbstverdienten Geld erworbenen Sachen. Ihr rücksichtsvoller Umgang mit mir war nicht zuletzt dadurch begründet, dass sie mich beide brauchten. Mutter litt unter meines Stiefvaters zunehmender Trinkerei. Sie bat mich, nach im Hause versteckten Flaschen zu suchen. Da ich meinen Stiefvater aufmerksam beobachtete, kam ich immer schnell hinter seine Verstecke. Allerdings war ich nicht so dumm, alle gefundenen Flaschen bei Mutter abzuliefern. Die eine oder andere steckte ich meinem Stiefvater mit verschwörerischer Miene wieder zu, der in mir dadurch bald eine Verbündete gegen Mutter und Ulrike sah, die ihm, dem hart arbeitenden Alleinverdiener, den kleinsten Genuss missgönnen würden. Obwohl ich so alle auf meine Seite brachte, empfand ich die Zustände zu Hause als unerträglich und entfloh ihnen, so oft ich konnte. In meiner Laube, die ich „Zuflucht“ nannte, fühlte ich mich wohl und geborgen. Eifersüchtig hütete ich dieses Geheimnis selbst vor meinen Freundinnen und vor den ersten Freunden, die ich in dieser Zeit hatte. Ich war äußerst begehrt, doch die gleichaltrigen Jungen langweilten mich. Es machte mir lediglich Spaß, sie gegeneinander auszuspielen. Das erste Mal ernsthaft verliebt war ich in einen verheirateten Kurgast. Da war ich 17 und er 36. Er war der Einzige, den ich jemals mit in meine Zuflucht nahm. Als er sich nach dem Ende seiner Kur nie wieder bei mir meldete, war ich tief enttäuscht. Ich hatte ihm extra die Adresse meines leiblichen Vaters gegeben. Der schien zwar erleichtert, als die Affäre zu Ende war, hätte aber niemals meine Post unterschlagen. Immer hat er mich ernst genommen und respektiert, auch dafür liebte ich ihn. An eine feste Bindung dachte ich in diesem Alter ohnehin noch nicht und belächelte meine Altersgenossinnen, die schon von Heirat und Kindern redeten. Ich hatte andere Pläne – ich wollte studieren. Mein Vater bestärkte mich darin, auch er wäre
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