Schicksalsmord (German Edition)
lieber Arzt als Physiotherapeut gewesen und riet mir, mehr aus mir und meinem Leben zu machen. Mutter und mein Stiefvater sahen das erfreulicherweise genauso, vor allem jedoch deshalb, weil mein leiblicher Vater mir Unterhalt zahlen musste, und das sollte er nach ihrem Willen so lange wie möglich tun.
Ich war gut in der Schule, ohne besonders ehrgeizig zu sein, das änderte sich nun. Jedes abgeschlossene Schuljahr brachte mich meinem Traumziel näher. Ich würde diesem kleinen, miefigen Kurort und meinem verlotterten Elternhaus entfliehen und in einer großen, aufregenden Stadt endlich mein eigenes Leben führen.
Die Katastrophe ereignete sich zu Beginn des letzten Schuljahres vor dem Abitur. Völlig unerwartet verstarb mein Vater mit erst 45 Jahren an einem Herzinfarkt. Ich konnte es kaum fassen. Mein Vater war schlank und sportlich gewesen und hatte nur mäßig geraucht und getrunken. Allerdings gab es eine familiäre Belastung, auch sein Vater war in relativ jungen Jahren einem Infarkt erlegen.
Meine Eltern untersagten mir die Teilnahme an seiner Beerdigung, pochten jedoch auf meine Erbansprüche ihm gegenüber. Es sollte sich herausstellen, dass nach Abzug seiner Schulden praktisch nichts vorhanden war – für meinen Stiefvater Anlass zu nicht enden wollender Häme. Der habe sein Vermögen wohl an seine Liebschaften verteilt, nur um seiner Tochter nichts hinterlassen zu müssen, mutmaßte er. In Wahrheit verhielt es sich natürlich ganz anders. Mein Vater hatte lange recht erfolgreich an der Börse spekuliert, war zum Schluss jedoch unvorsichtig geworden und hatte herbe Verluste hinnehmen müssen. Vielleicht hatte sogar der Schock darüber seinen Herztod ausgelöst.
Mein Stiefvater spreizte sich jedenfalls, er selbst werde seiner Tochter einmal etwas hinterlassen und traf mich damit tief. Wieso hatte er plötzlich nur noch eine Tochter, die es zu bedenken galt, und mit welchem Vermögen brüstete er sich dabei eigentlich? Von seinem kleinen Gehalt hatten wir gerade mal leben können, angespart wurde da nichts. Was übrig war, ging für seinen Alkoholkonsum drauf. Seine Grundstückshälfte, die er nun als Besitz für sich reklamierte, war ihm von Mutter überschrieben worden und zumindest wiederum die Hälfte davon hätte eigentlich mir zugestanden. Ich vergaß ihm seinen Ausspruch nie, und der Zorn darüber war es, der mich schließlich veranlasste, ihm eines damals noch fernen Tages das mich begünstigende Testament zu diktieren. Es war ganz leicht. Mein Stiefvater war schon immer paranoid gewesen, doch mit dem Fortschreiten seiner Krankheit nahm das wahnhafte Züge an. Er glaubte, Ulrike gebe ihm die falschen Medikamente, weil sie überdrüssig sei, ihn zu pflegen und bald erben wolle. Ich konnte ihn mühelos darin bestärken.
Ein noch viel heftigerer Zorn hatte mich jedoch erfasst, als mir mein Stiefvater schon bald nach dem Tod meines Vaters lapidar mitteilte, er werde mir eine Lehrstelle bei der Sparkasse besorgen. Jetzt, wo die Unterhaltszahlungen wegfielen, war vom Studium keine Rede mehr. All meine verzweifelten Einwände waren vergebens, mein Stiefvater erwartete sogar Dankbarkeit, weil er sich für mich verwendet hatte. Ich hatte das Gefühl, ich sollte lebendig eingemauert werden und dachte sogar daran, einfach auf eigene Faust auszuziehen. Doch wovon hätte ich dann leben sollen?
Wenn man nur lange genug nach Auswegen aus einer Misere sucht, eröffnen sie sich einem in der Regel plötzlich ganz von allein. Das war auch in diesem Falle so. Ich hatte Ulrikes Tanzstundenbekanntschaft mit Thomas nur belächelt, ebenso lächerlich erschien mir der Stolz meiner Mutter auf den Sohn des angesehenen Arztes. Dann aber belauschte ich zufällig ein Gespräch meiner Eltern. Mein Stiefvater hielt meiner Mutter vor, dieser Jugendliebelei zu viel Bedeutung beizumessen. Thomas werde schon im kommenden Jahr sein Medizinstudium in einer anderen Stadt aufnehmen und Ulrike sicher schnell vergessen. Mutter hielt verbissen dagegen. Thomas sei sehr ernsthaft und seriös für sein Alter, er werde den Kontakt schon halten, bis Ulrike ihm dann ebenfalls als Studentin an den Studienort folgen werde. Mich empörte, mit welcher Selbstverständlichkeit beide für Ulrike ein Studium ins Auge fassten, doch plötzlich wusste ich, was ich zu tun hatte.
Ulrikes Erkrankung kam mir entgegen und beschleunigte die Ausführung meines Planes. Ich vertrat sie bei der Tanzstunde und brachte Thomas bei dieser Gelegenheit zuerst einmal
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