Schiffbruch Mit Tiger
dem langen Kampf, in dem er seine Gemahlin Sita von Ravana, dem hinterhältigen Herrscher von Lanka, zurückeroberte, den Mut verlor. Er hätte sich von einem dürren Kreuz nicht aufhalten lassen. Und als es hart auf hart ging, wuchs er über seine armselige menschliche Gestalt hinaus, mit Waffen, die kein Mensch handhaben konnte, und einer Kraft, die kein Mensch hatte.
So soll ein Gott sein. Er soll Macht haben, er soll etwas vorstellen. Er soll die Bedrohten beschützen können und dem Bösen die Stirn bieten.
Dieser Sohn hingegen, der Hunger und Durst leidet, der müde und traurig wird, der kleinlaut ist, sich hänseln und herumschubsen lässt, der sich mit Anhängern umgibt, die von nichts eine Ahnung haben, unter Gegnern, die keine Achtung vor Ihm kennen - was ist denn das für ein Gott? Das ist ein Gott, der zu menschlich geworden ist. Sicher, es gibt Wunder, meist im medizinischen Bereich, ein paar für das hungernde Volk; wenn es hochkommt, beschwichtigt Er einen Sturm oder geht ein paar Schritte übers Wasser. Das ist Magie in jämmerlichem Maßstab, kaum besser als ein Kartentrick. Jeder Hindugott kann das hundertmal besser. Dieser Sohn, der ein Gott ist, hat die meiste Zeit Seine Gleichnisse erzählt. Er redet. Und er geht zu Fuß. Dieser Sohn, der ein Gott ist, ist ein Fußgängergott, und das in einem heißen Land - Er geht wie ein gewöhnlicher Mensch, so weit die Sandalen ihn tragen, und wenn er sich einmal ein Transportmittel gönnte, dann war es ein einfacher Esel. Dieser Sohn ist ein Gott, der drei Stunden lang starb, der stöhnte, seufzte, klagte. Und das soll ein Gott sein? Was hat er denn, woran man sich ein Beispiel nehmen kann?
Liebe, sagte Pater Martin.
Und nur ein einziges Mal war dieser Sohn erschienen, vor vielen Jahren und weit fort? Bei einem obskuren Stamm im fernen Westasien, in der hintersten Ecke eines längst verschwundenen Weltreichs? Und hängt schon am Kreuz, bevor Er noch ein einziges graues Haar auf dem Kopf hat? Hinterlässt keine Nachkommen, nur ein paar verstreute Legenden, sein Werk ein paar Zeichnungen im Sand? Moment mal. Das ist nicht einfach nur Brahma mit einem Minderwertigkeitskomplex. Das ist Brahma als Feigling. Brahma, der kleinlich und unfair ist. Das ist Brahma, der gar nicht wirklich sichtbar wird. Wenn Brahma nur einen einzigen Sohn hat, dann muss er doch wenigstens vielfältige Gestalt annehmen, so wie Krishna bei den Milchmädchen, oder etwa nicht? Was konnte denn einen derartigen Geiz Gottes rechtfertigen?
Liebe, sagte Pater Martin noch einmal.
Da bleibe ich doch lieber bei meinem Krishna, danke schön. Krishna, das ist der Inbegriff eines Gottes für mich. Deinen zerlumpten und geschwätzigen Sohn kannst du behalten.
So bin ich diesem aufrührerischen Rabbi aus längst vergangenen Zeiten zum ersten Mal begegnet: mit Unverstand und Wut.
Drei Tage hintereinander kam ich zu Pater Martin zum Tee. Jedes Mal stellte ich zum Rasseln von Tasse und Teller, zum Klimpern des Löffels meine Fragen.
Die Antwort war immer dieselbe.
Er machte mir zu schaffen, dieser Sohn. Von Tag zu Tag fand ich Ihn empörender, entdeckte ständig neue Schwächen an Ihm.
Er ist
gehässig
! Eines Morgens in Bethanien hat Gott Hunger. Gott will Sein Frühstück. Er kommt zu einem Feigenbaum. Aber es ist nicht die richtige Jahreszeit, und an dem Baum hängen keine Früchte. Gott schmollt. »Nie wieder sollst du Früchte tragen«, knurrt der Sohn, und auf der Stelle verdorrt der Feigenbaum. So erzählt es Matthäus, und Markus bestätigt es.
Aber ich frage Sie, was kann denn der Feigenbaum dafür, dass keine Feigenzeit ist? Wer tut denn so etwas einem unschuldigen Feigenbaum an und lässt ihn verdorren?
Er beschäftigte mich. Tut es bis heute. Drei Tage lang habe ich nur an Ihn gedacht. Und je mehr ich über Ihn erfuhr, desto sicherer war ich, dass ich bei Ihm bleiben wollte.
Am letzten Tag, ein paar Stunden bevor wir Munnar verlassen wollten, stürmte ich den Hügel zur Linken hinauf. Heute kommt mir das ausgesprochen christlich vor. Das Christentum ist eine Religion, die es immer eilig hat. Man denke nur an die Welt, die in sieben Tagen erschaffen wird. Selbst wenn man es nicht wörtlich nimmt, kommt es einem doch arg gehetzt vor. Für jemanden, der in eine Religion geboren wurde, in der das Ringen um eine einzige Seele ein Stafettenlauf über viele Jahrhunderte sein kann, bei dem der Stab über unzählige Generationen weitergereicht wird, hat das Tempo des Christentums etwas
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